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Professurbeschreibung

1.1. Vorbemerkungen zur kulturhistorischen Mittelalterforschung

Die (deutsche) Mittelalterforschung weist rückblickend zwar eine lange kulturhistorische Forschungstradition auf (hier seien stellvertretend nur die Namen J. Burckhardt / J. Huizinga erwähnt, hinzu kommt eine große Zahl von Kulturgeschichten einzelner Zeitabschnitte oder sozialer Gruppen). Allerdings wurde und wird die deutsche Mediävistik von den Arbeitsgebieten der politischen Geschichte, der Verfassungs- und Rechts-geschichte sowie der Wirtschaftsgeschichte dominiert. In den letzten Jahrzehnten fand dann aber auch eine verstärkte Hinwendung zu Fragestellungen und Methoden der Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Sachkulturforschung, Mikrohistorie, Mentalitäts-geschichte und Historischer Geschlechterforschung statt, wobei allerdings nur ansatzweise eine Neudefinition des Kulturbegriffs für die mittelalterliche Geschichte erfolgte. Bestrebungen in diese Richtung ließen sich am ehesten im Umfeld der realienkundlichen Forschung beobachten, da hier ein interdisziplinärer Dialog und die Berücksichtigung der Repräsentationsformen verschiedenster mittelalterlicher Kulturgruppen bzw. -träger obligat ist.

Wesentliche Impulse hat die Mediävistik aus der Debatte um die historische Anthro-pologie, insbesondere in ihrer angelsächsischen Ausprägung erfahren. Eine Hinwendung zu Fragestellungen der „neuen Kulturgeschichte“ zeichnet sich für die Mittelalterforschung bezeichnenderweise sehr stark in einem interdisziplinären Verbund innerhalb der Forschungsrichtungen ab, die sich mit dem Mittelalter beschäftigen (z.B. Mediävisten-verband). D.h. in der eigentlichen mittelalterlichen Geschichte bestimmen derzeit eher theoretische Annäherungen den Umgang mit der Kulturgeschichte (v.a. Oexle, teilw. Althoff).

Breitere kulturhistorische Ansätze finden sich in der interdisziplinären Zusammenarbeit etwa von Archäologie, Kunstgeschichte, Geschichte, europäischer Ethnologie und Alltagsgeschichte sowie in Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Philologien. Insbesondere die Erforschung der unterschiedlichen Ebenen etwa des Weltbildwandels oder der Untersuchung von kollektiven Einstellungen, Gefühlen oder Ritualen hat hier zu fruchtbaren Kooperationen der verschiedenen Disziplinen v.a. unter Anwendung von Fragestellungen und Methoden der Mentalitätsgeschichte sowie der Zeichentheorie geführt. Ein Problem stellt dabei sicherlich die etwas andere interdiziplinäre Verteilung innerhalb der mediävistischen Disziplinen dar. So scheinen derzeit die Definitionen und Vorgaben, was denn kulturhistorische Forschung ist, eher von den Philologien auszu-gehen, andererseits wird die Erforschung des Alltags stark von der Mittelalterarchäologie sowie den Bemühungen um eine umfassende Alltags- und Sachkulturforschung beeinflußt. Ein gemeinsamer Nenner dieser Forschungen läßt sich vor allem in der Abkehr von großen Entwürfen hin zu konkreten Einzelstudien sowohl in regionaler oder zeitlicher als auch in struktureller Hinsicht beobachten.

 

 

1.2. Mittelalterliche Geschichte als Kulturgeschichte an der Viadrina

Das Studium der mittelalterlichen Geschichte wird an der Viadrina natürlich durch die in der Regel fehlenden Latein- bzw. historischen Volkssprachenkenntnisse erschwert. Das heißt insbesondere die Auseinandersetzung mit Primärtexten / Quellen beschränkt sich daher stark auf die vorhandenen übersetzten Editionen. Darüber hinaus fehlen An-knüpfungspunkte an traditionelle Nachbardisziplinen (z.B. Literaturwissenschaften, Archäologie, Kunstgeschichte) im Hinblick auf das Mittelalter sowie eine institutionali-sierte Antike Geschichte. Die Möglichkeiten der Einbindung der mittelalterlichen Ge-schichte können daher entweder entlang eines zeitlichen Längsschnitts (A) oder aber eher im Rahmen von mehreren Anbietern veranstalteten Themenfeldern (B) liegen.

 

A) Hinsichtlich des Zeitraums ergeben sich am ehesten Anknüpfungen an die Professuren, die sich mit der frühen Neuzeit beschäftigen (am oberen Ende des Zeitabschnitts) sowie an die Alte Geschichte. Somit ist eine solche rein epochale Einordnung nur ansatzweise durchzuführen, da hier ein Zeitraum von max. 1000 Jahren irgendwie zusammengefaßt werden müßte.

B) Hinsichtlich der Bildung von thematischen Feldern, die über mehrere Zeitabschnitte von verschiedenen Profes-suren realisiert werden könnten, sieht die Situation deutlich besser aus, was sich in den Themenfeldern ausdrückt, die an der Professur kontinuierlich angeboten werden (s.u.). Ein weiterer Bereich wäre die Rezeptionsgeschichte des Mittelalters als kulturelles Phänomen, was auch in die Wissenschaftsgeschichte des Faches überleiten würde.

 

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2. Pflicht und Kür

 

Die folgenden Schwerpunkte stellen eine Übersicht über die Arbeitsfelder dar, die an der Professur wiederholt unter verschiedenen konkreten Fragestellungen angeboten werden. Zu Details siehe jeweils den aktuellen Forschungsbericht der Europa-Universität Viadrina oder die WWW-Seiten der Professur.

 

2.1. Pflicht – regelmäßig angebotene Themenfelder

Die folgenden Arbeitsfelder bzw. Themenschwerpunkte werden an der Professur kon-tinuierlich (d.h. etwa immer im Rahmen von vier Semestern) abgedeckt:

1. Entstehung und Struktur des „alten Europa“. D.h. die staatlichen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen der Gesellschaften und politischen Gebilde der Vormoderne.

2. Geschichte der Bildung und Wissenschaft sowie der Medien und Kommunikations-formen in der Vormoderne, insbesondere die Entwicklung der Träger von Wissen und Wissenschaft (v.a. Universitäten), das Verhältnis von schriftlicher (literaler) und primär mündlicher (oraler, literaler, gestischer, symbolischer) Kommunikation, Geschichte des Weltbildes und dessen Repräsentationen, z.B. Kartographie, Kosmologie, „Ethnographie“ usw.

3. Geschichte von Räumen. Insbesondere Geschichte der Stadt als Lebensraum und kul-turelles Symbol, als Wirtschafts- und Kommunikationsraum. Geschichte des geogra-phischen Weltbildes.

4. Geschichte der Religiosität in Europa. D.h. nicht nur Kirchengeschichten, sondern auch religiöse, mystische, Vorstellungen und Weltbilder sowie deren Repräsentation in Handeln, Visualisierung oder Verschriftlichung.

 

2.2. Kür – Spezielle Interessen

Professor Knefelkamp beschäftigt sich vor allem mit Fragestellungen aus den folgenden Bereichen, die sowohl in der Forschung als auch in der Lehre regelmäßig aufgegriffen werden: Sozialgeschichte, insbesondere der Stadt und der städtischen Bevölkerungs-gruppen; Medizin- und Sozialgeschichte, insbesondere Geschichte der Seuchen und ihrer Bekämpfung bzw. Bewältigung; Geschichte der mittelalterlichen Wissenschaften, insbe-sondere Kartographie, Kosmographie und Medizingeschichte usw.; Frauen- und Geschlechtergeschichte; Ethik; Rechtsgeschichte; Identität und Fremdheit (besonders anhand von Reiseberichten); Entstehung der europäischen Identität und Kultur (Heraus-bildung kultureller und staatlicher Identitäten und deren Wahrnehmung in Europa)

 

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3. Professurübergreifende Anschlußmöglichkeiten innerhalb der Disziplin bzw. der Fakultät

Fakultätsübergreifende Kooperationen lassen sich im Bereich der Stadtgeschichte sowie der Regional- und Landesgeschichte und der Geschichte (Ost-) Mitteleuropas insbesondere mit der Geographie, der Kunstgeschichte und der Anthropologie realisieren. Im Schwerpunkt Wissen und Wissenschaft bieten sich im Prinzip alle Professuren innerhalb der Fakultät sowie die Rechtsgeschichte an. Als besonderer Bereich bezüglich der Universitätsgeschichte ist der Professur eine Forschungsstelle für vergleichende Universitätsgeschichte angeschlossen und wir engagieren uns im Verein zur Erforschung der Geschichte der Viadrina e.V. Im Schwerpunkt ergeben sich Kooperationsmöglich-keiten vor allem mit der Anthropologie, den Sozialwissenschaften und den Literatur-wissenschaften. Gleiches gilt für die Geschlechtergeschichte.

Hinsichtlich der Repräsentations- und Kommunikationsformen des Mittelalters wäre auch eine Zusammenarbeit mit Literatur-, Kunst- und Sprachwissenschaften an der Viadrina möglich. Fragen der Sachgut- und Kulturgutforschung werden in Zukunft im Rahmen des Studiengangs „Schutz des europäischen Kulturguts“ möglich sein.

Mit der Juristischen Fakultät bieten sich vor allem gemeinsame Fragestellungen zur Rechtsgeschichte (insbes. Strafrecht) an. Hier haben bereits gemeinsame Veranstal-tungen stattgefunden. Mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät sind gemeinsame Veranstaltungen zur Geschichte der Sozialpolitik möglich.

 

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