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Forschung

Lehrstuhlprojekte

Prof. Dr. Reinhard Blänkner

Neuständische Gesellschaft im globalen Kontext (1750-1830/40)
Das Projekt untersucht die „Neuständische Gesellschaft“ als eigenständige historische Figuration zwischen der Krise der altständischen Ordnung und der Formierung der fabrik-industriellen Klassengesellschaft. Dem Projekt liegt die These zugrunde, daß die Neuständische Gesellschaft nicht entwicklungsgeschichtlich oder modernisierungstheoretisch, sondern vor allem als Resultat des Verflechtungszusammenhangs frühneuzeitlicher kommerzieller Globalisierung zu verstehen ist, der eine nachhaltige Komplexitätssteigerung und soziale Differenzierung auslöst, in die - in unterschiedlichem Maße - alle europäischen Regionen eingebunden sind. Die sozialen Enden der Neuständischen Gesellschaft, deren Konzeptualisierung eng mit der „commercial society“ verbunden ist, werden markiert durch die „gebildeten Stände“ (und deren Äquivalente wie „middle classes“ oder „société des notables“) als neue Elite und die protoindustrielle Familienwirtschaft. Im Zentrum des Projekts stehen die institutionellen Mechanismen als Achsen der Analyse und Darstellung – die historisch-spezifischen Felder von neuständischer Ökonomie, Politik, Recht, Geschlecht, Wissen, Religion, kultureller Vergesellschaft sowie deren zeitgenössische Theorien als Selbstreflexion der neuständischen Vergesellschaftung. Der aktuelle Blick richtet sich insbesondere auf die „Verfassung“ als leitdifferentielles Ordnungsarrangement, die Entstehung des „Konsums“ als ökonomisch-kulturelle Integration sowie die städtischen Salons und ländlichen Musenhöfe als Formen kultureller Vergesellschaftung.
 
„Geschichte“ und Geschehen. Geschichte als Kulturtheorie
Das moderne Verständnis von „Geschichte“ bezeichnet das Geschehen als Ereignis und Prozess ebenso wie die Darstellung des Geschehens. Aus diesem Vexierspiel führt das Forschungsprojekt heraus, in dem die Historizität der „Geschichte“ als spezifische Wissensform des Geschehens herausgearbeitet wird. Der Blick richtet sich dabei auf die diskursiven Verknüpfungen zwischen der Geschichte als Wissensform und den Konjunkturen der Kulturtheorien um 1800 (Formierung des Geschichtsphilosophie; Kultur- und Bildungstheorien), um 1900 (Krise des Historismus; Kulturwissen- schaften als Problemwissenschaften; „Geschichtlichkeit“ als Problemlösungsformel der philosophischen Anthropologie) und um 2000 (Kulturwissenschaften im Zeichen von Kulturphilosophie, Medientheorien und  Postkolonialismus). Vor dem Hintergrund des Plausibilitätsverlusts der „Geschichte“ als Darstellungsmodus der Welterschliessung, der seit der Krise des Historismus das 20. Jahrhundert durchzieht, richtet sich der Blick auf die Erneuerung der „Historie“ nach der „Geschichte“.
 
„Der jetzt bei weitem beste Kopf in Deutschland..." - Eduard Gans (1797-1839). Europäischer Intellektueller an der Schwelle zur Moderne
 
 
 

Drittmittelprojekte

Prof. Dr. Reinhard Blänkner

Otto Brunner (1898-1982). Geschichtswissenschaft und politisches Gelehrtenleben im 20. Jahrhundert
Bis heute gilt Brunner als einer der schillerndsten Historiker in der deutschsprachigen Gelehrtenwelt des 20. Jahrhunderts, die Beurteilung seines wissenschaftlichen Werks polarisiert noch immer die fachhistorische Zunft. Dabei ist der nachhaltige Einfluß seiner Arbeiten unbestritten. Kontrovers diskutiert wird jedoch der Zusammenhang zwischen seinem völkisch-nationalsozialistischen Engagement und seinem wissenschaftlichen Werk, insbesondere die Frage nach möglichen Kontinuitäten der wissenschaftlichen Problemstellungen und seiner politischen Auffassungen nach 1945. Auf der Grundlage umfassender Archivrecherchen soll die Voraussetzung für das Verfassen einer intellektuellen Biografie geschaffen werden, die keineswegs die traditionelle Form einer entwicklungsgeschichtlichen Chronologie annehmen noch auf eine gleichsam werkimmanente Binnenperspektive der Interpretation der Brunnerschen Schriften reduziert bleiben soll. Beabsichtigt ist vielmehr, die Denkwege Brunners in die vielfältigen wissenschaftlichen und politischen Strömungen seiner Zeit zu stellen. Wenigtens drei Felder verdienen dabei besondere Aufmerksamkeit – das historisch-interdisziplinäre, weit über die Geschichtswissenschaft im engeren Sinne hinausgehende Profil des Brunnerschen Werks; die hieraus sich ergebende bemerkenswerte Vernetzung mit Gelehrten anderer Disziplinen, von der Rechtswissenschaft und Literaturwissenschaft bis hin zur Philosophischen Anthropologie und Soziologie; und schließlich das Verständnis Brunners als Repräsentant des Typus des „Gelehrten-Intellektuellen“ (G. Hübinger) im 20. Jahrhundert. Sachlich schließt die Monografie an die jüngere biografische Aufarbeitung (vor allem) deutscher Historiker im 20. Jahrhundert, methodisch an die jüngere Biografie- und Generationenforschung sowie an Arbeiten der Historischen Netzwerkforschung an.
 

PD Dr. Olaf Briese

Differierende Gefahrenwahrnehmung. Zur Gründung der ersten Berufsfeuerwehr Deutschlands 1851
In kollektiven Erinnerungswelten des 19. Jahrhunderts waren Stadtbrände tief verankert; darüber hinaus entstanden in dieser Zeit neue Feuergefahren im Rahmen neuer Stadtentwicklungen. Theoretische Analysen haben dieses Phänomen Gefahr jedoch auf den Prüfstand zu stellen. Denn Gefahren sind nicht faktisch gegeben. Sie sind auf reale Anforderungen reagierende Konzeptualisierungen, die im Wechselspiel von kollektiv-imaginierten, medial-inszenierten und staatlich-administrativen Einflüssen entstehen. Das geplante kulturwissenschaftliche Forschungsprojekt untersucht diese differierenden Gefahrenwahrnehmungen am Beispiel der Entstehung der ersten Berufsfeuerwehr Deutschlands. Es arbeitet erstens heraus, wie sich im heterogenen Wechselspiel imaginierter, inszenierter und machtbasierter Gefahrenwahrnehmung Leitgefahren ausbildeten. Damit verbunden arbeitet es zweitens heraus, wie die ab 1851 in Berlin entstehende, rein staatlich-polizeilich und explizit militärisch organisierte Berufsfeuerwehr unter diesem Vorzeichen von Leitgefahren nicht nur auf Brandschutzanforderungen der wachsenden Metropole reagierte. Vielmehr fungierte sie auch als ein Ordnungselement innerhalb eines autoritären Sicherheitsregimes, das nach den Ereignissen des Jahrs 1848 revolutionäre Brandanschläge mittels publizistischer Fälschungen und Schauprozessen geradezu heraufbeschwor und auch vor diesem Hintergrund, als Feuerwehr, an institutioneller Dynamik gewann.