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Publikationen

Hartmut Schröder: 'Ich sage das einmal ganz ungeschützt' - Hedging und wissenschaftlicher Diskurs. In: Danneberg, Lutz/Niederhauser, Jörg (Hsg.): Darstellungsformen der Wissenschaften im Kontrast. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1997 (=Forum für Fachsprachen-Forschung 39).

 

2. Bezeichnung und Begriff

 

In linguistischen Wörterbüchern wird der Komplex Hedge/Hedging i.d.R. noch nicht erfaßt. Eine Ausnahme bilden allerdings das Dictionary of Stylistics von Wales und die beiden deutschsprachigen linguistischen Wörterbücher von Bußmann und Glück. In beiden deutschsprachigen Wörterbüchern wird der Begriff "Heckenausdruck" der Semantik und Lexikographie zugeordnet und in der folgenden Weise verstanden:

"Adjektivische oder adverbiale Wendung, durch die angegeben werden kann, in welchem Maße in einer gegebenen Sprache und dem dazugehörenden Kulturraum kategorisierenden Aussage im Sinne einer Repräsentativitätsskala möglich bzw. sinnvoll sind." (Bußmann 1990)

"Bezeichnung für Ausdrücke, die andeuten, in welchem Sinne bestimmte Exemplare einer bestimmten Kategorie zugeordnet werden. Aus der Tatsache, daß (jeweils relativ zu einem spezifischen kulturellen Hintergrund) manche Exemplare als bessere/typischere Beispiele einer Kategorie angesehen werden (...) ergibt sich ein Bedürfnis für solche Hecken. Z.B. sind im mitteleuropäischen Kulturraum Spatzen sicherlich typischere Beispiele für Vögel als Pinguine." (Gipper 1993)

Im Dictionary of Stylistics von Wales (1989) wird stärker differenziert als in den deutschsprachigen Wörterbüchern. Zwar werden unter Berufung auf die gleiche Quelle (G. Lakoff) "hedging; hedge" auf die Semantik bezogen und Hedges als "modifiers in a narrower sense" verstanden, doch gleichzeitig wird das Konzept auch den Bereichen Diskursanalyse und Sprechakttheorie zugeordnet, wo es als "qualification and toning-down of utterances or statements (...) in order to reduce the riskiness of what one says" verstanden wird. Motivationen für den Gebrauch von Hedges werden in folgenden Punkten gesehen: "Mitigation of what may otherwise seem too forceful may be one reson; politeness or respect to strangers and superiors another."

Obwohl das Konzept Hedging/Hedge ursprünglich aus der Semantik und der Logik kommt, ist es in den letzten Jahren vor allem in der Pragmatik und Diskursanalyse weiterentwickelt worden, so daß die aktuelle Bedeutung weit über die formale Logik und die Prototypensemantik hinausgeht, in den Bereich der Metakommunikation hineinreicht und an linguistische Strategien der Abschwächung und Höflichkeit angrenzt. Durch diese Ausdehnung hat das Konzept zwar einerseits an Schärfe verloren und erzeugt bisweilen den Eindruck eines definitorischen Chaos, andererseits lößt es sich so aber auf Phänomene anwenden, für die es bislang noch keine passenden Begriffe und Bezeichnungen gab.

Erschwert wird die Kommunikation über das Hedging-Phänomen aber nicht nur durch unterschiedliche Begriffsinhalte sondern auch durch unterschiedliche Bezeichnungen. Entscheidende Vorarbeiten wurden so von Zadeh (1965) und Weinreich (1966) geleistet, die sich beide zwar mit dem Phänomen beschäftigten, allerdings noch nicht die Bezeichnung Hedging/Hedge benutzten. Zadeh (1965) stellte in seiner sogenannten "Fuzzy set theory" fest, daß bestimmte Begriffsklassen mit festen Zugehörigkeitskriterien, wie z.B. animals, über ein Kontinuum an Klassifikationsgraden verfügen. Nach der Fuzzyset theory, paßt eine Einzelerscheinung aber immer nur zu einem gewissen Grad in eine Klasse. Daraus folgt, daß gerade die prototypische Begriffsbildung in der Alltagskommunikation den Einsatz von Hedges regelrecht erfordert; denn Begriffe wie 'Freund', 'Großmutter', 'Fahrrad', 'Konzert' und 'Prüfung' lösen prototypische Vorstellungen über deren Bedeutung aus und machen es notwendig, prototypferne Vertreter gesondert zu kennzeichnen. Kennzeichen wir einen Begriff durch ein Hedge (oder mehrere Hedges), so wird damit ausgedrückt, daß es sich im konkreten Fall nicht um einen Prototyp seiner Klasse, sondern um eine prototypferne Erscheinung handelt. So ist der Satz Ein Pinguin ist eigentlich ein Vogel akzeptabel, der Satz Ein Rabe ist eigentlich ein Vogel ist hingegen absurd. Mutation ist möglich bei prototypnahen, nicht aber bei prototypfernen Begriffen, wie folgende Beispiele zeigen: Ein Vogel saß zwitschernd in den Zweigen kann ersetzt werden durch Eine Amsel/Meise saß zwitschernd in den Zweigen, nicht aber durch Ein Pinguin saß zwitschernd in den Zweigen. Weinreich (1966: 163) geht davon aus, daß "for every language 'metalinguistic operators' such as (in) English true, real, so-called, strictly speaking, and (in) German eigentlich, and the most powerful extrapolator of all - like - function as instructions for the loose or strict interpretation of designata".

Die Bezeichnung 'Hedge'/'Hedging' wurde zuerst von G. Lakoff (1972) benutzt. Lakoff (1972: 195) definiert Hedges folgendermaßen: "For me, some of the most interesting questions are raised by the study of words whose meaning implicitly involves fuzziness -- words whose job is to make things fuzzier or less fuzzy." Später folgte Zadeh (1972) terminologisch Lakoff und analysierte Hedges im Englischen (wie z.B. more or less, slightly, technically und practically) aus der Sicht der Semantik und Logik.

Eine entscheidende Weiterentwicklung erhielt der Begriff Hedge durch die Arbeiten von Brown/Levinson (1978 und 1987) zur Höflichkeitstheorie. In Brown/Levinson's Terminologie ist Hedging Ausdruck negativer Höflichkeit und eine Vermeidungs-strategie im Hinblick auf die Gesichtswahrung des Sprechers und Hörers.

Prince/Bosk/Frader (1982) unterscheiden zwischen zwei Typen von Hedges, wobei der eine Typ, den sie 'Approximators' nennen, die Wahrheitsbedingungen von Propositionen betrifft, und der andere Typ, den sie 'Shields' nennen, nicht die Wahrheitsbedingungen von Propositionen meint, sondern die Verantwortung des Sprechers für den Wahrheitswert der Proposition anzeigt. Dies soll an den folgenden Beispielen verdeutlicht werden: His feet were sort of blue. => Approximator I think his feet were blue. => Shield

Eine ähnliche Unterscheidung macht Hübler (1983), der mit seinem Buch "Understatements and Hedges in English" die erste Monographie zu diesem Forschungsbereich vorgelegt hat. Hübler unterscheidet zwischen 'Understatements' und 'Hedges', obwohl er Understatements auch als Oberbegriff für beide Strategien, weniger zu sagen als man meint, versteht. Unter Understatement versteht er eine Indertermination des propositionalen Gehalts eines Satzes, wohingegen Hedging die Indertermination der Sprechereinstellung zum Hörer im Hinblick auf die Proposition meint: It is a bit cold in here. => Understatement It is snowing in the mountains, I suppose. => Hedge

Durch Indeterminationsstrategien sollen - so Hübler - Aussagen für den Hörer akzeptabler gemacht und somit die Chance ihrer Ratifizierung erhöht werden.