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Herkunft und Rezeption

"Dem Begriff 'Tabu' wäre wohl am besten entsprochen,
indem man nicht über ihn spricht."

Stephan Rudas

 

Das Wort 'Tabu' - ursprünglich 'tapu' - stammt aus dem Tonga Polynesiens und gehört zu den seltenen Wörtern, die aus Sprachen der 'Naturvölker' in Sprachen westlicher Zivilisationen Eingang gefunden haben und aus dem heutigen Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken sind. James Cook brachte dieses Wort im Jahre 1777 von seiner Südseereise nach England mit, von wo aus es sich schnell in andere Sprachen verbreitete und Eingang in die Bildungssprache fand.

 Für die deutsche Bildungssprache kann 'Tabu' bereits in Meyer's Conversations-Lexicon aus dem Jahre 1851 belegt werden, wo es allerdings ausschließlich zur Beschreibung von Gemeinwesen der 'Naturvölker' Verwendung findet. Hinweise darauf, daß dieser Begriff für die Analyse von 'Kulturvölkern' fruchtbar gemacht werden kann, gibt es seit der Jahrhundertwende; so z.B. in Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1906, wo ausdrücklich erwähnt wird, daß auch 'Kulturvölker' Tabus haben können. Wundt (1926, 390f.) weist im gleichen Jahr darauf hin, daß 'Tabu' "hinreichend in die allgemeine Sprache eingedrungen ist um gelegentlich auf unsere eigenen Anschauungen und Sitten angewandt zu werden" - nach Wundt "gibt es in der Tat kein Volk und keine Kulturstufe, die des Tabu und seiner beschränkenden oder gefährdenden Wirkungen auf Leben und Freiheit entbehren" (ebenda). Spätestens mit Freuds Schrift Totem und Tabu (1912-13) hat der Begriff 'Tabu' einen endgültigen Platz im Diskurs der 'Kulturvölker' erlangt.

 Ein Grund für die rasche Verbreitung des Wortes war nach Betz (1978, 141) neben dem exotischen Klang das "fördernde Vakuum einer wirklichen Wortschatzlücke" in den Sprachen der westlichen Zivilisationen. Darüber hinaus bot sich dieses neue Wort - so Kuhn (1987, 20f.) - "geradezu an, das Fremde, Irrationale und nicht Verstehbare des seltsamen Südseetreibens in einem Ausdruck kompakt zu bezeichnen. 'Tabu' steht sozusagen exemplarisch für das Andere und Fremde der archaischen Welt. [...] 'Tabu' war also ein zentraler Ausdruck der reisenden Aufklärer, um zu erklären, was nicht innerhalb ihres Konzeptes der Vernunft zu erklären war." Allerdings herrscht Unklarheit darüber, wie das Wort aus dem Tonga in andere Sprachen übersetzt werden kann und ob es in Sprachen der westlichen Zivilisationen eigensprachliche Entsprechungen für dieses komplexe Konzept gibt. Freud versteht die Bedeutung des Wortes als heilig und unrein zugleich. Betz (1978, 141) sieht als die wahrscheinlichste Deutung, daß 'ta' als kennzeichnen oder markieren und 'pu' als kräftig oder intensiv zu verstehen sei: "Das Tabu also ist das kräftig Markierte" (Wagner 1991, 17).

 Was das Konzept 'Tabu' im heutigen Sprachgebrauch des Deutschen betrifft, so unterscheidet der Duden zwei Grundbedeutungen: "1. (Völkerk.): Verbot, bestimmte Handlungen auszuführen, insbes. geheiligte Personen od. Gegenstände zu berühren, anzublicken, zu nennen, bestimmte Speisen zu genießen; [...] 2. (bildungsspr.): ungeschriebenes Gesetz, das auf Grund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft verbietet, über bestimmte Dinge zu sprechen, bestimmte Dinge zu tun [...]".

 Noch nicht berücksichtigt wird im Duden eine neuere umgangssprachliche Verwendung des Wortes mit pejorativer Bedeutung im Sinne von 'überlebt' und 'nicht in die Zeit passend', die insbesondere in den Medien eine zunehmende Rolle spielt. Darauf weist u.a. Musloff (1987, 17) hin: "Die Ausdrücke 'X ist für A ein Tabu' oder 'A erklärt X zum Tabu' haben also in der heutigen deutschen Umgangssprache nicht, wie die Wörterbuch-Artikel [...] nahelegen, eine rein deskriptive Funktion, sondern dienen in der Kommunikation als Vorwurfs-Sprechakte." Positiv konnotiert werden in diesem Zusammenhang Ausdrücke wie 'tabulos', 'Tabubruch' und 'enttabuisieren'.

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