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Wolhyniendeutsche Migrationen

Zwischen Russland, Polen, Kanada, Deutschland und der Tschechoslowakei:
Die Geschichte der Wolhyniendeutschen und WolhynientschechInnen als transnationale Migrations- und Integrationsgeschichte

Bearbeiter: PD Dr. Jan Musekamp

2016 machte in Polen und der Ukraine ein Film Furore, der die Ermordung von polnischen EinwohnerInnen Wolhyniens durch ukrainische militärische Einheiten am Ende des Zweiten Weltkriegs zum Thema hat. Die im Film thematisierte Gewalt in einer Region, die Timothy Snyder als „Boodlands“ bezeichnet hat, blendet jedoch die reiche multiethnische und migratorische Vergangenheit Wolhyniens aus. Diese Geschichte soll im Buchprojekt als signifikantes Beispiel für eine transnationale Migrationsgeschichte bearbeitet werden, ganz im Sinne der Vorstellung des türkisch-britischen Autors Moris Farhi, „All History is the History of Migration“.

In den 1860er Jahren siedelten sich neben tschechischsprachigen auch zehntausende deutschsprachige Siedlerinnen und Siedler im russländischen Gouvernement Wolhynien an. Dabei entstanden zahlreiche neue Dörfer in einem polnisch-ukrainisch-jüdischen Umfeld, wobei die NeusiedlerInnen von Vergünstigungen wie einer Befreiung von Abgaben, weitgehender kultureller Autonomie und Selbstverwaltung profitierten. Schon in den späten 1880er und 1890er Jahren jedoch führte eine Aufhebung der Privilegien in Verbindung mit einer Russifizierungspolitik für die deutsche Bevölkerung zur Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage. Viele dieser Menschen migrierten erneut, zumeist nach Sibirien oder nach Kanada. Während des Ersten Weltkrieges wurden zahlreiche Wolhyniendeutsche enteignet und nach Sibirien deportiert. In der Zwischenkriegszeit gehörte das westliche Siedlungsgebiet zur polnischen Wojewodschaft Wolhynien, das östliche zur Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik.  Das Ende der wolhyniendeutschen Kolonien brachten 1940 die Umsiedlerverträge des Deutschen Reichs mit der Sowjetunion. Die so genannten UmsiedlerInnen wurden überwiegend im Reichsgau Wartheland angesiedelt und mussten sich nach ihrer Vertreibung 1945 in West- wie Ostdeutschland eine neue Existenz aufbauen. Die WolhynientschechInnen verließen ihre Heimat meist nach 1945 und siedelten sich in dem von den Sudetendeutschen verlassenen tschechischen Grenzgebiet an.

Das Projekt wird diese Migrationsbewegungen zwischen 1860 und 1960 in der longue durée verfolgen. Während bisherige Darstellungen jeweils eine ethnische Gruppe isoliert von den anderen untersuchten und dabei eine enge nationale Sichtweise an den Tag legten, wird meine Forschung mit neueren Ansätzen arbeiten und dabei insbesondere die transnationalen Implikationen der Integration und Interaktion an den wechselnden Siedlungsorten in den Blick nehmen. Damit kann es gelingen, diese Bewegungen in den globalen Kontext von Migration einzubetten und einen signifikanten Beitrag zur historischen Migrationsforschung anknüpfend an die Arbeiten von Klaus Bade, Dirk Hoerder, Adam McKeown, Leslie Page Moch, Lewis Siegelbaum und anderen zu leisten.