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Jan Musekamp

 

Brünn – Brno 1938-1948
Eine Stadt in einem Jahrzehnt erzwungener Wanderungen

8 ECTS
Seminar: BA, Kulturgeschichte-Vertiefung // GS, Typ B
Mittwoch, 14:15 - 15:45 Uhr,
Veranstaltungsbeginn: 17.10.07

Brünn war 1938 eine blühende Stadt mit einer mehrheitlich tschechischsprachigen Bevölkerung und einer starken deutschsprachigen Minderheit, die sich aus Deutschen und Juden zusammensetzte. Sie verfügte über bedeutende deutsch- und tschechischsprachige Hochschulen, die es insbesondere in der Architektur zu internationalem Renommee gebracht hatten. Nach der schrittweisen Auflösung der Tschechoslowakei wurden die demografischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Stadt innerhalb weniger Jahre gewaltsam umgestaltet. Brünn geriet in den Strudel der Zwangsmigrationen, die im 20. Jahrhundert ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß erreicht hatten. Am Ausgang der Veranstaltung wird ein Überblick über diese dramatischen Bevölkerungsverschiebungen stehen, die ihren traurigen Höhepunkt im Jahrzehnt von 1938 bis 1948 erreichten. Dabei handelte es sich auf der einen Seite um Zwangswanderungen infolge von politischem Druck, Krieg und Gewalt, auf der anderen Seite erfolgte als deren Resultat aber auch die freiwillige Migration von Menschen, die ihre ökonomische Situation verbessern wollten. In der Wissenschaft wurden und werden diese beiden Wanderungstypen häufig isoliert voneinander betrachtet, im Seminar wird am Beispiel der mährischen Hauptstadt Brünn der ursächliche Zusammenhang zwischen ihnen diskutiert werden. Dabei soll auch die häufig zu beobachtende einseitige nationale Sicht auf das Geschehen aufgehoben und der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkungen extremer Nationalismus und ein weitgehender Bevölkerungsaustausch auf eine multiethnische Stadt haben können.

Literatur: Der Weg in die Katastrophe. Deutsch-tschechoslowakische Beziehungen 1938-1947, hrsg. von Detlef Brandes u.a., Essen 1994. Emilia Hrabovec: Vertreibung und Abschub. Deutsche in Mähren 1945-1947, Frankfurt/M. ²1996. Jeremy King: Budweisers into Czechs and Germans. A Local History of Bohemian Politics, Oxford 2002. Jan Musekamp: Brno/Brünn 1938-1948. Eine Stadt in einem Jahrzehnt erzwungener Wanderungen, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 53 (2004), H. 1, S. 1-45. Tomáš Staněk: Odsun Němců z Československa, Praha 1991. Gregor Thum: Die fremde Stadt. Breslau 1945, Berlin 2003

Weitere Literaturangaben zum Seminar: pdf-Datei

Teilnahmevoraussetzungen: Grundkenntnisse der Geschichte Ostmitteleuropas
Hinweise zur Veranstaltung: Es wird eine Exkursion nach Brünn durchgeführt, die von den Studierenden organisiert wird

Leistungsnachweis: Regelmäßige Teilnahme, Übernahme eines Referats, Hausarbeit und Exkursionsteilnahme

Seminarplan (Stand: 16.10.2007)

00 Lektüre parallel zu den behandelten Zeiträumen:

1. Jörg K. Hoensch: Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis zur Gegenwart, München ³1997, S. 421-457.
2. Jan Musekamp: Brno/Brünn 1938-1948. Eine Stadt in einem Jahrzehnt erzwungener Wanderungen, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 53 (2004), H. 1, S. 1-45.

01 17.10.2007
Einführung in das Thema und organisatorische Hinweise

02 24.10.2007
Das Jahrhundert der Zwangsmigration

Rezension: Umsiedlung, Flucht und Vertreibung der Deutschen als internationales Problem, hrsg. von Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart 2002.

Texte:
1. Karl Schlögel: Europas verschobene Völker, in: Die Zeit 18(1999), Dossier.
2. Karl Schlögel: Kosovo war überall, in: Die Zeit 18(1999), Dossier.
3. Bernd Faulenbach: Die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße. Zur wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte
B 51-52(2002), S. 44-54.

31.10.2007: Reformationstag

03 07.11.2007
Ein multiethnischer Staat: Die Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit

Haupttexte:
1. Konfliktgemeinschaft, Katastrophe, Entspannung. Skizze einer Darstellung der deutsch-tschechischen Geschichte seit dem 19. Jahrhundert, hrsg. von der Gemeinsamen deutsch-tschechischen Historikerkommission, München 1996, S. 15-45 (nur ungerade Seiten).
2. Kateřina Čapková: Tschechisch, Deutsch, Jüdisch – wo ist der Unterschied? Zur Komplexität von nationalen Identitäten der böhmischen Juden 1918-1938, in: Juden zwischen Deutschen und Tschechen. Sprachliche und kulturelle Identitäten in Böhmen 1800-1945, hrsg. von Marek Nekula und Walter Koschmal, München 2006, S. 73-83.
Vertiefung:
1. Václav Kural: Die Tschechoslowakei als Nationalstaat? Das sudetendeutsche Problem, in: Das Scheitern der Verständigung. Tschechen, Deutsche und Slowaken in der Ersten Republik (1918-1938). Für die deutsch-tschechische und slowakische Historikerkommission hrsg. von Jörg K. Hoensch und Dušan Kováč, S. 63-70.
2. Jan Sapák: Brno’s Jewish architects, in: Brněnští židovští architecti – Brno’s Jewish architects 1919-1939, Brno 2000, S. 8-19.
Quelle:
Gespräch mit Ctibor Novák, evangelischer Pfarrer i. R. Brno, 16.11.2001 (Fragment) pdf-Datei

04 14.11.2007
„Drehscheibe Brünn“ nach 1933: Zufluchtsort deutschsprachiger Emigration

05 21.11.2007
Vom multiethnischen Brno zum „arischen Brünn“: Die deutsche Besatzung


06 28.11.2007
Die Befreiung: Zeit der Abrechnung

– Zwischenevaluierung –

07 05.12.2007
Der „Brünner Todesmarsch“ und dessen Interpretation

08 12.12.2007
Wiederansiedlung II
Tschechen aus dem Landesinneren. Die Wohnungskrise

09 19.12.2007
Wiederansiedlung II
Slowakische Studenten, bulgarische Gärtner und slowakische Roma

02.01.2008: Neujahrskarenz

10 09.01.2008
1948: Die politische Emigration ab 1948
– Besprechung Exkursion –

11 21.-25.01.2008
Exkursion nach Brünn

Dokumentation der Exkursion

12 30.01.2008
Nachbereitung, Hausarbeitsthemen, Evaluierung

Zur Vorbereitung einer jeden Sitzung werden eine Quelle sowie Sekundärtexte (ca. 20-25 Seiten) zur Verfügung gestellt, die 14 Tage vor Beginn auf der Homepage eingestellt werden.

Ablauf:
- Rezension
- Impulsreferat mit den wichtigsten Thesen (10 Minuten), Bewertung Referat durch TeilnehmerInnen
- Diskussion
2 Sitzungen kann entschuldigt gefehlt werden, zur besseren Planung bitte ich um vorherige Email. Bei längerer Krankheit sind nach Absprache Ausnahmen möglich.

Zusammensetzung der Endnote:
Beteiligung: 20 %, Rezension 10 %, Referat: 20 %, Hausarbeit 50 %

Zeitschriften für Rezensionen
Bohemia, Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung, Osteuropa, Revue des Études slaves, Österreichische Osthefte, East European Politics and Societies, Česko-slovenská historická ročenka