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Sommersemester 2002

 

Chołuj/Breysach/Hengelhaupt: Kulturwissenschaftliches Kolloquium

In den 80er Jahren war - u.a. im Kontext der Dissidentenbewegung - eine Wiederbelebung des Mitteleuropadiskurses zu beobachten, der in den 90er Jahren im Kontext der Europäischen Integration durch ein pragmatisches und dezisionistisches Europaverständnis überlagert wurde. Welche Relevanz hat der Mitteleuropabegriff jedoch innerhalb der aktuellen Europa- Forschung? Diesem Fragenkomplex wollen wir in interdisziplinären Beiträgen nachgehen. Damit sind insbesondere Forschungen zur Kulturgeschichte und literaturwissenschaftlichen Komparatistik, zu grenzüberschreitenden Kultur- und Erinnerungsräumen, zu veränderten Identitäts- und Gedächtnisentwürfen, zur vergleichenden Geschlechterforschung, zur europäisch-jüdischen Geschichte und zur Analyse der divergierenden Bildungs- und Wissenschaftstraditionen im westlichen und mittelöstlichen Europa angesprochen. Als Kernbestand der mittel- bzw. mittelosteuropabezogenen Forschung gilt selbstverständlich der weite Bereich der Transformationsforschung. Da wir das Kolloquium auch als einen Beitrag zur Profilierung des wissenschaftlichen Selbstverständnisses am Collegium Poloncium verstehen, haben wir das Themenspektrum bewußt sehr breit gefaßt.

 

Räther/Eberhardter: Die fünfte Himmelsrichtung - Mitteleuropa als kulturelles und politisches Phänomen

Der Begriff "Mitteleuropa" entzieht sich seit jeher hermetischen Definitionsversuchen und ist dennoch - oder gerade deswegen - in aller Munde. Für Dissidenten wie Milan Kundera oder György Konrad war Mitteleuropa in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts sowohl Synonym für eine Identität jenseits sowjetrussischer Hegemonie als auch politischer Auftrag zur Überwindung der europäischen Teilung. Nachdem die Mauer tatsächlich gefallen war, erreichte "Mitteleuropa" freilich keine konkrete europapolitische Bedeutung, weder als der von einigen befürchtete Deutschland-dominierte Antiwesten noch als Solidargemeinschaft postkommunistischer Beitrittskandidaten zur EU. Trotzdem hat der Begriff weiterhin Konjunktur: "mitteleuropäisch" nennen sich Lehrstühle und wissenschaftliche Institute, ambitionierte Kulturzeitschriften und zahlreiche kulturelle und politische Initiativen, die das Ziel eint, die Strukturen und Grenzen des Kalten Krieges zu überwinden bzw. diesen Prozess zu organisieren. Im Seminar soll der Frage nachgegangen werden, was die Attraktivität des Begriffs "Mitteleuropa" ausmacht, wie und von wem er funktionalisiert wurde und wird und was er in kultureller und politischer Perspektive zu leisten vermag.