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Sommersemester 2007

 

Chołuj: Die Schuld-Debatte um Günter Grass´ Bekenntnis zu seiner SS-Mitgliedschaft

Nach 60 Jahren gesteht Günter Grass, dass er sich 1943 freiwillig zum Militärdienst gemeldet hat. Obwohl sein Wunsch der Dienst auf einem U-Boot war, landete er 1944, kurz vor seinem 17. Geburtstag, in der 10. Panzer-Division der Waffen-SS. Sein Bekenntnis verblüffte vor allem die Öffentlichkeit in Deutschland und Polen, jedoch erregten sich auch englische, italienische und tschechische Intellektuelle und Politiker. Allerorts wurde überlegt, ob man dem berühmten Schriftsteller seine Preise, Ehrenbürgerschaften und Ehrendoktortitel, die er im Laufe von Jahrzehnten von vielen Institutionen verliehen bekam, aberkennen soll oder nicht. Im Seminar wollen wir zunächst nachzeichnen, welche öffentlichen Diskurse Grass´ Geständnis in den verschiedenen Ländern und auch transnational auslöste, um im nächsten Schritt zu fragen, welche Veränderungen dieses Geständnis in den Öffentlichkeiten bewirkte. In der Analyse dieser Schuld-Debatte richten wir unsere Aufmerksamkeit auf solche Themen wie Lüge und Verschweigen, Vergangenheitsbewältigung, selbst auferlegte Buße und Sühne in politischen Kontexten der Länder, in denen die Stimmen zu Grass seit August 2005 publiziert wurden.

Literatur: Zur Einführung: Günter Grass: Im Krebsgang; ders.: Beim Häuten der Zwiebel; Michael Jürgs: Bürger Grass. Biographie eines deutschen Dichters

 

Chołuj / Dornhof: Geschlechterforschung im europäischen Vergleich. Theorien – Methoden – Praxis

Die Vorlesung ist als transdisziplinäre Lehrveranstaltung für Studierende in allen Masterstudiengängen konzipiert. Ziel ist es, unterschiedliche Dimensionen europäischer Transformationsprozesse in Bezug auf Geschlecht als zentrale Strukturkategorie gesellschaftlicher Ordnungen und wissenschaftlicher Erkenntnis zu diskutieren und nach den Wandlungen wissenschaftlicher Deutungsangebote und gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen zu fragen. Es werden Theorien, Konzepte und Methoden der Geschlechterforschung im deutsch-polnischen Vergleich vorgestellt. Dabei werden neue Orientierungen in den Bereichen disziplinärer und interdisziplinärer Theoriediskussion im Kontext ökonomischer, kultureller und politischer Veränderungen ebenso vermittelt wie die damit einhergehenden Auseinandersetzungen mit disziplinär verhafteten akademischen Strukturen. Im Rahmen interkultureller Kommunikation geht es darum, grundlegende gendertheoretische Fragen von Transfer und Differenz im Hinblick auf die geografische, politische und kulturelle Komplexität Europas (sex/gender, Gleichheit/Differenz, politics of location) in ihrer Ambivalenz zu erfassen. Geschlecht soll dabei als immerwährende Verhandlung mit anderen Hierarchisierungskategorien und als Voraussetzung für praktische Anwendungen untersucht werden, um sich auf die Widersprüchlichkeit vielfältiger Differenzen einlassen zu können.

 

Chołuj / Dornhof: Gedächtnis und Geschlecht. Europäische Erinnerungskulturen

In der Lehrveranstaltung soll der Frage nach europäischen Erinnerungskulturen in geschlechtertheoretischer Perspektiv nachgegangen werden, um die Pluralität und Heterogenität von Kultur, Gedächtnis und Geschlecht zu ermitteln. Auf der Folie unterschiedlicher Geschichtspolitiken werden europäische Erinnerungskulturen und -orte auf ihre impliziten geschlechtlichen Repräsentationsformen untersucht, die – zumeist unausgesprochen – die Wahrnehmung und Bewertung historischer Ereignisse bestimmen. In neueren Forschungen zu Darstellungs- und Deutungsmustern des Holocaust in nationalen Erinnerungskulturen wurde nachgewiesen, in welcher Weise im kollektiven Gedächtnis Metaphern von Geschlecht zur Naturalisierung und Universalisierung historischer Ereignisse und damit zur Beruhigung führen. Ausgehend von Konzepten des „kulturellen Gedächtnisses“ (Assmann) und der „Erinnerungsorte“ (Nora) wollen wir zunächst im deutsch-polnischen Vergleich für beide Nationen zentrale und zugleich unterschiedlich ausgelegte Begrifflichkeiten und Kulturen des Erinnerns diskutieren und die eingelagerten rhetorischen Formeln und Bilder von Geschlecht hinsichtlich ihrer spezifischen Funktionen von Inklusion, Exklusion und Vergessen verorten. Hinweise zum Blockseminar:

 

Räther: Einführung in die Außenpolitikanalyse

Wenngleich die Rolle des Nationalstaats durch Globalisierungstendenzen und regionalen Integrationbestrebungen (vor allem EU) einer fortschreitende Relativierung unterworfen ist, so sind Staaten doch bis heute die wichtigsten politischen Akteure des internationalen Systems. Eine Einführung in die Außenpolitikanalyse kommt aber heute nicht umhin, sich zunächst der Frage zu widmen, wie „innen“ und „außen“ am 61 Beginn des 21. Jahrhunderts eigentlich definiert werden kann und wie sich daraus das sog. „Nationale Interesse“ eines Staates ableiten läßt. Wir werden uns mit den wichtigsten Theorien zur Außenpolitik befassen und in einem zweiten Schritt versuchen, diese bei der Analyse außenpolitischer Akteure, Strategien und Entscheidungsprozesse, und zwar schwerpunkmäßig Deutschlands, Polens und Frankreichs, anzuwenden. Dabei sollen neben den klassischen politischen und ökonomischen Bestimmungsfaktoren auch zivilgesellschaftliche Aspekte und die kulturelle Dimension von Außenpolitik in den Blick genommen werden.

Literatur: Dirk Peters: Ansätze und Methoden der Außenpolitikanalyse, in: Schmidt, Siegmar/Hellmann, Gunther/Wolf, Reinhard (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Außenpolitik, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006