PD Dr. Andree Michaelis-König
Von den Autorinnen und Autoren der Aufklärung im ausgehenden 18. bis zur neueren deutsch-jüdischen Gegenwartsliteratur reichen meine Forschungsinteressen. Dabei nimmt die Auseinandersetzung mit der Philosophie und Literatur der Freundschaft sowie mit dem Schreiben von Überlebenden der Shoah und mit ihr die Erinnerungskultur nach 1945 einen besonderen Stellenwert ein. Autobiographik, Medialität und Erinnerung sowie das Verhältnis von Literatur und Geschichte sind hierbei die für mich zentralen Themen.
In meinem aktuellen Forschungsprojekt Schreibweisen der Emanzipation untersuche ich die Werke und Autorschaftspositionen weiblicher und jüdischer Autor*innen aus der Zeit des Vormärz, für die die politischen Versprechen von 1848 in existentieller und ästhetischer Hinsicht von maßgeblicher Relevanz waren. Im Rahmen des Projekts sollen nicht nur vergessene Autor*innen und Werke neu erschlossen und interpretiert werden. Es geht auch um die Herausarbeitung der spezifischen Bemühungen dieser zumeist marginalisierten und in der Öffentlichkeit ‚stimmlosen‘ Autor*innen, ihre individuellen Positionen als Schriftsteller*innen zu etablieren und zu reflektieren.
In meiner jüngst abgeschlossenen Habilitationsschrift geht es um einzelne Konstellationen jüdisch-nichtjüdischer Begegnung seit dem 18. Jahrhundert. Mich interessieren die versuchten, die geglückten und die gescheiterten Freundschaften zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Schriftstellern und Intellektuellen – von Mendelssohn und Lessing über Fanny Lewald und Therese von Bacheracht bis hin zu Hannah Arendt und Karl Jaspers. Dabei werden die Bedeutung der jeweiligen Freundschaften und ihrer Konfliktmomente nicht nur anhand (auto-)biographischer Quellen, sondern gerade auch anhand der literarischen und essayistischen Werke der Freunde, ihrer gegenseitigen Einflussnahme und Abgrenzung voneinander, genauer untersucht werden. Es geht mithin um den Zusammenhang von Politik und Poetik von Freundschaft, insofern die These verfolgt wird, dass der Charakter der jeweiligen Freundschaft nicht nur politischen Bewährungsproben unterworfen ist, sondern sich ebenso in der kommunikativen wie auch ästhetischen Gestaltung des Werkes der Freunde und Freundinnen niederschlägt.
Weitere Schwerpunkte meiner Forschungen sind der Zusammenhang von Literatur und Migration sowie der Film, insbesondere die Geschichte der filmischen Repräsentation der nationalsozialistischen Verbrechen und deren Nachwirken bis in die Gegenwartskultur hinein. Neben einer medienkritischen gilt meine Aufmerksamkeit schließlich der literaturtheoretischen Reflexion. Denn es ist die Bandbreite literaturtheoretischer Positionen im 20. Jahrhundert – von Saussure und den russischen Formalisten bis hin zu Foucault, Derrida und Barthes –, die ich neben narratologischen Überlegungen als unabdingbare Grundlage des Faches verstehen möchte. In diesen Kontext gehört auch meine Auseinandersetzung mit transnationalen Aspekten der Literaturgeschichte wie sie sich nicht zuletzt in der Konzeption der Forschungsgruppe "Literarische Praktiken der Verpflechtung jüdischer Autorinnen und Autoren in der europäischen Diaspora (19. und 20. Jahrhundert)" ausdrückt.