Literatur und Macht in der russischen Kultur

In der russischen Kultur spielt die Literatur eine besonders prominente Rolle. Diese Auffassung scheinen sowohl die täglichen Fahrgästen in der Moskauer Metro zu bestätigen, die selten ohne ein Buch reisen, als auch die wiederholt vorgebrachte These eines spezifisch russischen „Grammatozentrismus“.

Auch die Usurpation der Macht war in der Geschichte nicht selten mit der Einnahme des literarischen Feldes verbunden: Zar Nikolaus I war der persönliche Zensor von Puškin, lobte die Komödien Gogol’s und zeigte sich vom tragischen Tod Lermontovs erschüttert. Lenin und Trockij äußerten sich (oftmals kompetent!) zu literarischen und literaturwissenschaftlichen Fragen, Stalin schrieb ein Buch zur Sprachwissenschaft. Bis in die jüngste Zeit wurde von den Herrschenden eine gewisse literarische resp. intellektuelle Kompetenz erwartet, die zur Not mit Hilfe von Ghostwritern erreicht wurde: Brežnev veröffentlichte zahlreiche belletristische Werke, die gesammelten Schriften von Gorbačev umfassen 22 Bände.

Andererseits erfolgte die Kritik des gesellschaftlichen und politischen Systems oftmals in der Sprache der Literatur – dafür stehen Werke wie Dostoevskijs Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, čechovs Die Insel Sachalin, šalamovs Erzählungen aus Kolyma, Solženicyns Archipel GULAG etc.

Im Seminar werden wir Texte aus der Schnittmenge von Literatur und Macht seit dem 16. Jh. lesen. Einen Schwerpunkt werden dabei Texte aus dem 20. Jahrhundert ausmachen. Da nicht alle Texte in der Übersetzung vorliegen, werden Russischkenntnisse vorausgesetzt.

Das Seminar ist eine Kooperation zwischen dem Institut für Slavistik der Universität Potsdam und dem Lehrstuhl Literaturwissenschaften/Ost der Universität Viadrina; die Sitzungen werden 14-tägig mit einem Umfang von 4 SWS wechselweise in Frankfurt/Oder und Potsdam stattfinden.

 Lektüre zur Vorbereitung: K. Kaminskij, A. Koschorke (Hrsg.): Despoten dichten.  

 Leistungsnachweise: Referat/Essay und Hausarbeit