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Provokateure, Künstler oder heilige Narren? Inszenierungen des Wahnsinns in der zeitgenössische n russischen Literatur – Film – Performance

 
DozentTypVeranstaltungZeitOrt
Stefan Henkel BA Provokateure, Künstler oder heilige Narren?
Inszenierungen des Wahnsinns in der zeitgenössische
n russischen Literatur – Film – Performance
Mo 14-16  AM 205

Sowohl der Künstler Oleg Kulik als bellender Nackter auf allen Vieren, der versucht, Passanten zu beißen, als auch der maskierte Punk-Protest der Band „Pussy Riot“ im Jahr 2012 scheinen auf die Wiederbelebung eines für die russische Kultur bedeutsamen Phänomens zu verweisen, das auf Mechanismen öffentlich inszenierter, närrischer Skandale und bewusster Tabubrüche basiert: das Jurodstvo. Bei den sogenannten heiligen Narren oder Christusnarren (jurodivye) handelt es sich kulturhistorisch gesehen zunächst um psychisch gesunde Menschen, die in einem Modus der intentionellen Selbsterniedrigung als imitatio Christi sich als Wahnsinnige inszenierten und von der russisch-orthodoxen
Kirche anerkannt, ja sogar kanonisiert werden konnten. Im Seminar sollen solch ambivalente Figuren in den Blick genommen werden, die an diese vor allem spätmittelalterliche Tradition anknüpfen und die Regeln der Alltagswelt durch ihr närrisches Verhalten beständig unterlaufen.
Ausgehend von Beispielen aus zeitgenössischer russischer Literatur, Film und Performance werden wir gemeinsam herausarbeiten, wie narrative Strategien der Inszenierung des Wahnsinns aussehen können und wie auf die kulturhistorischen Hintergründe Bezug genommen wird. Bewegen sich die „neuen Narren“ noch in einem religiösen Kontext oder sind ihre profanierten Skandale Ausdruck eines nonkonformistischen Habitus? Neben der Karnevalstheorie von Bachtin sollen dazu Schriften von Vertretern der (Post-)Postmoderne (Lipovetsky, Bodin, Eshelman) kritisch betrachtet werden.

Literatur: Bachtin, M. M. 1990: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Frankfurt am Main. Hunt, P./Kobets, S. (Hrsg.) 2011: Holy Foolishness in Russia. New Perspectives. Bloomington. Ivanov, S. A. 2005: Blažennye Pochaby. Kul’turnaja istorija jurodstva. Moskva 2005. Lachmann, R. 2004: Der Narr in Christo und seine Verstellungspraxis, in: von Moos, P. (Hrsg.), Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft. Köln, 379-410. Lichačev, D. S./Pančenko, A. M. 1991: Die Lachwelt des alten Russland. München.
Teilnahmevoraussetzungen: Eine Teilnahme ist auch ohne Russischkenntnisse möglich.
Leistungsnachweis: Essay, Referat und Hausarbeit