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Dissertation Christoph Burmeister, MA

Das Problem Kind
Eine kultursoziologische Analyse der Gouvernementalität spätmoderner Kindheit


„Kindheit“ hat es nicht immer gegeben. Angetrieben von der Vorstellung, dass Kindheit und kindliche Entwicklung kontrollierbar und der zukünftige Mensch somit erschaffbar sei, konstituierte sie sich als zentrales Erziehungsprojekt der Moderne. Ausgehend von dieser Historizität von Kindheit fragt das Dissertationsprojekt nach dem „Problem Kind“ in der Gegenwartskultur. Die Arbeit geht davon aus, dass die tiefgreifenden und hinreichend erforschten Transformationen, die die (westlichen) Gesellschaften seit den 1970er Jahren erfasst haben, sich auch auszeichnen durch einen Ausbau von Rationalitäten und Technologien der Prävention. Kurz, dass Präventionsregime sich als prominente Sicherheitsdispositive der Gegenwart erweisen und die Ratio gegenwärtiger Zukunftsvorstellungen liefern. Die zentrale Frage meiner Dissertation „Was macht die spätmoderne Kindheit im Zeichen omnipräsenter Unsicherheiten und Prävention aus?“ will die Auswirkungen dieser Entwicklungen in einem von diesem Blickwinkel bisher ignorierten Feld, dem der Kindheit, erforschen.

Leitende Arbeitshypothese dabei ist, dass in der Gegenwartskultur, die sich sowohl durch Semantiken der Unsicherheit als auch durch einen zumeist katastrophischen Blick in die Zukunft auszeichnet, „Kindheit“ zunehmend auf die unsichere (aber stets unbekannte) Zukunft hin ausgerichtet wird, ja, dass diese überladen wird mit auf die Zukunft ausgerichteten Präventionsprogrammen einerseits sowie solchen der Optimierung und des Vorbereitet-seins andererseits, so dass die „Kindheit der Kindheit“, oder genauer: die Gegenwart der „Kindheit“ verschwindet.

Weiter wird die Arbeitshypothese verfolgt, dass dem (politischen) Affekt Angst in diesen Transformationsprozessen eine zentrale, mindestens zweifache Rolle zukommt: Als Produkt und Motor vermeintlich objektiver Unsicherheit sowie subjektiver Verunsicherung evoziert der Affekt Angst zum einen innerhalb der sogenannten „Mittelschicht“ eben jene auf die Zukunft des Kindes gerichteten Rationalitäten und Technologien. Zum anderen ruft der Affekt Angst ausgrenzende sowie disziplinierende Strategien dieser Klasse hervor, welche zu stärkerer Kontrolle und Überwachung der im unteren sozialen Feld angesiedelten Eltern und Kindern führt. Es ist zu unterscheiden zwischen den „Problemen des eigenen Kindes“ und den „Problemen der anderen Kinder“. Der häufig und zurecht beklagten Engführung einer gouvernementalen Analyseperspektive wird folglich dadurch begegnet, dass diese sowohl mit neueren Affekttheorien ins Gespräch gebracht als auch klassentheoretisch informiert wird. Erweiterungen, die sich aus dem Material ergeben und welche in der Arbeit kulturtheoretisch ausgebaut werden.

Die empirische Analyse des Dissertationsprojekts richtet sich auf die Spätmoderne. In Fallanalysen werden Dispositive der Bildung des Kindes und von Kindheit analysiert: 1) im pädagogisch-erziehungswissenschaftlichen Diskurs (wie den Kindheitswissenschaften), 2) in der formal-institutionellen Pädagogik (wie Kindergarten und Grundschule) sowie 3) in der informell-familiären Erziehung (wie Ratgeber und Internetforen). Nach dem „Problem Kind“ zu fragen verweist derweil darauf, als Ausgangspunkt der Analyse implizite (politische) Problematisierungen zu wählen: Was ist das Problem bzw. wird zu einem Problem gemacht, auf das eine Präventionstechnologie, eine der Optimierung, des Vorbereitet-seins oder der Disziplinierung jeweils reagieren und einwirken soll? Was ist das „Objekt“ der Problematisierung und welche Interventionsfelder werden dergestalt entworfen? Welche – auch widerstreitenden – Wissensformen und Regierungstechnologien nehmen sich des Problems an bzw. entfalten sich aus diesen? Und welche positiv-erstrebenswerten sowie negativ-abzulehnenden Sozialfiguren „(un-)glücklicher Kindheit“ sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts auszumachen?