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Interkulturelle Germanistik

Lehre, Forschung, Praxis

Die Lehre und die Forschung in unserem Studiengang sind der Interkulturalität verpflichtet. Wir verstehen Interkulturalität als ein Phänomen, das überall zu beobachten ist, an der Universität, in der Stadt und in zwischenmenschlichen Interaktionen. Wir untersuchen Interkulturalität auch an uns selbst: als Studierende, Dozierende sowie Verwaltungsmitarbeitende. Ständig setzen wir uns mit dem Anderen auseinander, gehen darauf ein, versuchen, es zu verstehen. Das Studium verbindet auf diese Art und Weise Theorie und Praxis, was es einzigartig macht: durch diese Methode sind wir nämlich Forschende und Lernende zugleich.Wir definieren Interkulturalität immer wieder neu und mit zunehmendem Wissen und Kompetenzen entdecken wir ständig neue Facetten dieses Phänomens. Wir machen uns Gedankein darüber, was Germanistik und insbesondere die Interkulturelle Germanistik ausmacht und beziehen diese Frage in (fast) jede Aktivität ein.

image_4_web ©Foto: Corinna Krieger 100_2998_web ©Foto: Daria Dymek

Lehren, Lernen, Forschen – passiert üblicherweise an institutionellen Lernorten. Lernorte im traditionellen Sinn sind Bildungseinrichtungen wie Schulen, Hochschulen – oder wie in unserem Fall – Universitäten, die man besucht, um theoretisches, systematisches und speziell aufbereitetes Wissen und definierte Kompetenzen zu erwerben. Diese Lernorte sind im Raum und in der Zeit begrenzt und manchmal vermeintlich „realitätsfern“ bzw. „realitätsfremd“, daher auch wenig motivierend und inspirierend.

Darüber hinaus haben Lehrende in der Interkulturellen Germanistik häufig den Eindruck, dass Studierende zwar über Wissen, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, die jedoch als separate Entitäten verstanden werden. Sie bilden eher lose Elemente als Verknüpfungspunkte zu neuen Wissens-, Erkenntnis-, Lern-  und Lebensbereichen. Im Kollegium überlegen wir immer wieder, wie unsere (sehr unterschiedlichen!) Studierenden selbst Verknüpfungen herstellen könnten, um zu erkennen, über welchen Schatz an theoretischem Wissen sowie Lern- und Lebens-Erfahrungen sie zusammen verfügen. Wie sollten authentische, inspirierende Lernorte gestaltet sein, die es unseren Studierenden ermöglichen, diesen Schatz mit der interkulturellen Realität des Grenzortes abzugleichen? Antworten auf diese Fragen zu suchen, heißt, aus dem gewohnten Seminarraum als Raum und Methode hinauszugehen, aktiv zu werden und zu beobachten, wie und zu was sich die Elemente zusammenfügen.

Die Vielfalt der Studierenden und Dozierenden, die Tatsache, dass wir ein Double-Programm sind und mit zwei unterschiedlichen Hochschulsystemen konform arbeiten, sowie der Umstand, dass wir in einem 'dritten Raum', dem Collegium Polonicum, angesiedelt sind, bietet besondere Möglichkeiten für Forschung über Heterogenität, Differenzen und Interaktionen von Kultur(en). Ein Ergebnis dieser Forschung ist das Konzept der transdifferenten Lehre*.

Die zeitgenössische deutsche Universität zeichnet sich durch eine besondere Heterogenität aus, die aus der Mobilität von Studierenden, Lehrenden und Forschenden sowie aus dem kulturellen Wandel der Gesellschaft resultiert. Als eine der wichtigsten Bildungsinstitutionen ist sie daher gefordert, in der Gestaltung der Lehre auf Erwartungen und Interessen und auf unterschiedliches Vorwissen von Studierenden einzugehen und dabei die Anforderungen zur Qualität der Lehre zu erfüllen. In der 'transdifferenten Lehre' werden die Relationen zwischen der Rolle der Universität als Institution und ihrer Aufgabe als Ort der Wissensvermittlung und –produktion im Kontext der Heterogenität berücksichtigt, vor allem in der Hinsicht, wie die zeitgenössische Universität mit der aufgeführten Vielfalt umgeht.

Die 'transdifferente Lehre' berücksichtigt nicht nur die kulturell heterogene Situation des akademischen Lehrbetriebs mit seinen Denkkollektiven und deren Denkstilen im Sinne von Ludwik Fleck, sondern sie nutzt diese auch aktiv in Seminaren. Das Augenmerk liegt in diesem Konzept insbesondere auf der Interaktion zwischen den Rahmenbedingungen des Lehrbetriebs und den von der Heterogenität aller Akteur*innen des universitären Lehrbetriebs ausgehenden Differenzen. Die ‚transdifferente Lehre‘ berücksichtigt daher interpersonale Beziehungen zwischen allen am Prozess der Wissensproduktion Beteiligten. Somit wird die Lehre nicht bloß als ein Transfer kanonisierten Wissens nach dem Topdown-Prinzip verstanden, sondern als eine Form der Wissensproduktion, zu der alle Beteiligten beitragen: durch den Einsatz der erkannten eigenen Andersheit. Die Rolle der Lehrenden liegt in professioneller Moderation und fachlicher Begleitung der Prozesse.

Das Konzept der transdifferenten Lehre schließt an die Differenzforschung an, die von den Erziehungswissenschaften im Allgemeinen und der Hochschuldidaktik im Besonderen in ihre Arbeit einbezogen werden, und sucht, Differenzen für den didaktischen Umgang mit Heterogenität in der akademischen Lehre zu aktivieren.

* Balfanz, Antonina. Transdifferente Lehre. Didaktischer Umgang mit Heterogenität. transcript Verlag Bielefeld 2020.

Die Sprache ist das Medium des Verstehens. Die Sprache ist ein Medium des Ausdrucks. Es geht nicht nur um die gesprochene und geschriebene Sprache, sondern um alle Mittel, die ein Mensch einsetzt, sich verständlich zu machen und andere(s) zu verstehen. Das probieren Studierende der Interkulturellen Germanistik in jedem Sommersemester, indem sie ein Theaterprojekt realisieren. Es geht nicht nur darum, eine Rolle zu lernen und zu spielen, sondern um das Erleben und Erfahren der Möglichkeiten und Grenzen der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Und nebenbei entstehen selbst geschriebene und natürlich selbst gespielte Stücke, die das Kommunikations- und Körperbewusstsein nachhaltig prägen.

Workshop 'Gerechtigkeit und (Anti-)Diskriminierung. Praktiken und Realität an der Hochschule'

Collegium Polonicum Słubice

Der zweitägige Workshop setzte esich anhand deutsch-polnischer Beispiele mit der theoretischen Kategorie der Differenz auseinander, die die Grundlage von (Anti-)Diskriminierungspraktiken ist. Der Umgang mit Differenzen, seien sie nationaler, politischer, kultureller oder geschlechtlicher Natur, zeigt gegenwärtig eine negative Verschiebung von der gesellschaftlichen Liberalisierung der Nachwendezeit zu populistischen, teilweise rechtsextremen Tendenzen im öffentlichen Leben. Dies geschieht in Deutschland genauso wie in Polen und führt zu inneren Spaltungen der Gesellschaft sowie zu Problemen und Konflikten in den bilateralen Beziehungen. In diesem Zusammenhang erfolgte eine theoretische Einführung zum Konzept der Transdifferenz, die von zwei praktischen Workshops begleitet wurde. In den Workshops wurden (Anti-)Diskriminierungspraktiken an der Universität, beim wissenschaftlichen Arbeiten aber auch in direkten sprachlichen Konfrontation trainiert.

Exkursion nach Lublin, 7.-10. Juli 2022

Vom 7. bis 10. Juli 2022 fand eine Exkursion nach Lublin statt, organisiert von der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) und dem Aleksander-Brückner-Zentrums für Polenstudien (Jena / Halle). An der Exkursion nahmen Studierende aus Frankfurt, Jena und Słubice teil.  Die betreuenden Dozenten waren: Christoph Maisch (Europa-Universität Viadrina), Dr. Lothar Quinkenstein (Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań), Johann Wiede (Aleksander-Brückner-Zentrum für Polenstudien).

Ziel der Exkursion war es, den Studierenden den des Krieges in der Ukraine wegen nach Lublin ausgelagerten Teil des Bruno Schulz-Festivals („Schulzfest“) zu präsentieren und ihnen die Teilnahme an Programmpunkten des Festivals zu ermöglichen. Damit konnte auch unter den derzeit besonders erschwerten Bedingungen eine wesentliche Kontinuität geschaffen werden – in Anknüpfung an die Exkursion von Christoph Maisch und Dr. Lothare Quinkenstein, die im Spätsommer 2021 nach Lviv und Drohobycz geführt hatte. Die Kontakte, die damals in Drohobycz entstanden waren, konnten jetzt in Lublin weiter gepflegt und vertieft werden – insbesondere zu Frau Dr. Wiera Meniok, der Mitinitiatorin und Hauptorganisatorin des „Schulzfestes“ von Drohobyczer Seite, ebenso zu Grzegorz Józefczuk, dem Hauptorganisator des „Schulzfestes“ von Lubliner Seite.

In enger Anlehnung an die Themenstellungen des Festivalprogramms sowie in enger Bezugnahme auch auf das Werk von Bruno Schulz konnten weitere bedeutende Aspekte besprochen werden, die wiederum Lubliner Stadtgeschichte erfahrbar machten. Hier stand die Persönlichkeit von Władysław Panas (1947-2005) im Mittelpunkt. Panas, der an der Katholischen Universität Lublin gelehrt hatte, bahnte zum einen den Weg in eine Interpretation des Schulz´schen Prosawerks im Kontext der jüdischen Mystik; ebenso verdienstvoll sind seine Arbeiten zur Bewahrung der Erinnerung an das jüdische Lublin. Die Studierenden erhielten eine Einführung in zwei wichtige Bücher von Panas – „Księga blasku. Traktat o kabale w prozie Brunona Schulza“ [Das Buch des Glanzes. Traktat über die Kabbala in der Prosa von Bruno Schulz] sowie „Das Auge des Zaddik. Essay über Lublin“. Letztere Publikation diente als Vorlage für einen Rundgang mit den Studierenden auf den Spuren des ausgelöschten jüdischen Viertels in Lublin (Dr. Lothar Quinkenstein). Seine schlüssige Fortsetzung fand dieser Rundgang in einem Besuch des Museums und Archivs von „Brama Grodzka. Teatr NN“, einer Institution von mittlerweile internationalem Ansehen, an deren Entstehung Władysław Panas maßgeblich beteiligt gewesen war. Ergänzend erhielten die Studierenden des Weiteren eine grundlegende Einführung in die Verflechtungsgeschichte des Kulturraums Galizien (Christoph Maisch).

Die Exkursion nach Lublin verknüpfte somit über die Programmpunkte des „Schulzfestes“ einzelne Aspekte zu Leben und Werk von Bruno Schulz mit einer breiter gefassten mitteleuropäischen Perspektive auf kulturelle Transferprozesse, Aspekte der Memoria und eines performativ gestalteten Post-Holocaust-Gedächtnisses, wie es sich in Lublin in geradezu exemplarischer Weise entfaltet hat. Die besagten Themenpunkte kamen dabei jeweils sowohl in ihren (literar)historischen sowie ihren konkreten, gegenwärtigen Facetten eines intensiven polnisch-ukrainischen Austauschs zur Sprache.

Mit eigenen Beiträgen in einem Medium ihrer Wahl setzten sich die Studierenden nach dem Abschluss der Exkursion noch einmal intensiv mit dem erworbenen Wissen auseinander.

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August 2021: eine Exkursion in die "Regionen der großen Häresie"

Selbst in Pandemie-Zeiten ist bei der Interkulturellen Germanistik interkulturelles Lernen möglich. Galizien - ein geradezu klassischer Raum des Kulturtransfers gehört zum festen Bestandteil der Veranstaltungen an der IKG. Ebenso das Werk von Bruno Schulz (1892-1942), der als Schriftsteller, Zeichner und Graphiker die polnische Moderne maßgeblich prägte.

Die faszinierende Verflechtungsgeschichte Galiziens lässt sich am anschaulichsten verstehen, wenn man sich selbst dorthin auf den Weg macht. So unternahmen Studierende der Interkulturellen Germanistik gemeinsam mit Studierenden / Forschenden des Aleksander-Brückner-Zentrums für Polenstudien in Jena und Halle und zwei Dozierenden - Christoph Maisch, Dr. Lothar Quinkenstein - im August 2021 eine Exkursion in die "Regionen der großen Häresie".

Mit Impfzertifikat, Maske und Negativtest erkundeten sie die vielfältigen kulturellen Schichten in Lemberg / Lwów / Lemberik / L`viv, unternahmen - u.a. mit Józef Wittlins "Mój Lwów" und Essays von Jurij Andruchowytsch in der Hand - ausgedehnte Erkundungsgänge durch die historischen Labyrinthe der Stadt und ließen sich im Rahmen von drei Vorträgen die komplexen Schichtungen der Historie nahe bringen.

In Drohobytsch begann es mit einer ganz besonderen Führung mit Frau Dr. Wiera Meniok - auf den Spuren von Bruno Schulz - , danach standen eine Besichtigung der orthodoxen Kirche St. Georg, der Choral-Synagoge und ein Besuch auf dem Neuen jüdischen Friedhof auf dem Programm. Bei einem abendlichen Treffen mit ukrainischen Studentinnen der Drohobytscher Polonistik bot das Polnische an einem polnisch-ukrainisch-deutschen Tisch die Möglichkeit zum Austausch. Abgerundet wurde der Ausflug zu Bruno Schulz mit einem halben Tag in dem ganz in der Nähe gelegenen Kurort Truskavets. Anschließend ging es zurück nach L`viv, wo ein weiterer ausgedehnter Stadtspaziergang Inspirationen gab. Stationen auf dieser letzten Erkundung waren u.a. der Lytschakiwski-Friedhof und das Wohnhaus der Schriftstellerin Debora Vogel (1900-1942), einer engen Vertrauten von Bruno Schulz, deren herausragende Stellung als Schriftstellerin, Philosophin und Kunstkritikerin lange verdeckt blieb durch das unglückliche Etikett der "Muse von Schulz".

Unter der Vielzahl an Eindrücken und Erkenntnissen, die die Gruppe mitnahm auf ihren Rückweg nach Berlin, machte eine Regung besonders spürbar auf sich aufmerksam: das Bedürfnis, eine solche Reise zu wiederholen. Aleksandra Bacławska und Michalina Przekurat, Studierende der Interkulturellen Germanistik, hielt ihre Reiseeindrücke schriftlich fest. Sie sind hier nachzulesen: Bericht von Aleksandra; Bericht von Michalina.

Ukraine_21_1 ©Foto: Lothar Quinkenstein

Ukraine_21_2 ©Foto: Lothar Quinkenstein

Im Wintersemester 2021/22 und Sommersemester 2022 haben wir wieder ein Theaterprojekt realisieren können.

Das von der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit sowie dem DAAD geförderte Projekt bot eine vielfältige Beschäftigung mit der Frage der eigenen Identität durch das Medium Theater. Drei Gruppen: Studierende der Interkulturellen Germanistik der Viadrina, Studierende der Germanistik an der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań und die Theatergruppe des Theaters des Lachens in Frankfurt (Oder) erarbeiteten ein Stück, in dem sie versuchten herauszufinden, was für sie Heimat bedeutet und tauschten sich darüber künstlerisch aus. Ihre Arbeit, die zwei Semester lang dauerte und durch gemeinsame Workshops flankiert wurde, wurde nicht nur als eine reine Theaterproduktion verstanden. Es war ein gemeinsamer Lern- und Reflexionsprozess über die kulturelle Zugehörigkeit eines Individuums und die Wahrnehmung des Anderen.

Das Stück wurde im Sommer 2022 im Theater des Lachens in Frankfurt (Oder) und im Teatr Animacji in Poznań aufgeführt. Das Stück in voller Länge ist hier zu sehen.

Nebenbei entstanden Videoaufnahmen, Fotos, Lerntagebücher und Umfragen. Ein wertvolles Material für interkulturelle Studien, mit dem wir weiter arbeiten.

image-26-10-21-02-59-15 ©Foto: Luana Musumeci

Workshop_IIa_TdL ©Foto: Antonina Balfanz

Heimat_Stueck ©Foto: Astrid Kapler

Tetar_Animacji_Finale ©Foto: Astrid Kapler