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Dissertation Julien Acquatella, MA, Paris


Die Plastik des Subjekts. Visuelle Theorie des Subjektivierungsprozesses am Beispiel Deutschland im 20. Jahrhundert

Meine Arbeit stellt das übliche Totalitarismuskonzept in Frage. Die Gegenüberstellung von Drittem Reich und Deutscher Demokratischer Republik ist dabei als abgegrenzte Studie innerhalb eines größeren Forschungsrahmens zu verstehen.

Politische Regime lassen sich mit Hilfe der weit gefassten bisherigen klassischen Totalitarismustheorien nicht beschreiben. Es lassen sich aber sehr wohl totalitäre „Residuen“, totalitäre „Tendenzen“ und totalitäre „Bewegungen“ ausmachen. Daher bietet sich die Entwicklung eines neuen theoretischen Zuganges an, um die Einzigartigkeit und die Charakteristika von totalitären Bewegungen zu erforschen. Meiner Hauptthese zufolge beruht die Besonderheit totalitärer Bewegungen auf dem besonderen Willen, den menschlichen Körper umzuformen, um ein politisches Projekt zu verwirklichen. Die von der Partei initiierte, an ästhetischen und qualitativen Kriterien orientierte Transformation des individuellen, „reellen“ Körpers, sollte im Dritten Reich und in der DDR zu einer Homogenisierung des  „phantasierten“ Sozialkörpers führen. Die Harmonisierung des individuellen Körpers sollte demnach zu einer Homogenisierung des Sozialköpers führen. Deshalb muss gefragt werden, inwiefern die Leibeserziehung im Zentrum des Indoktrinationsprozess stand.

Ist ein Vergleich zwischen drittem Reich und DDR angemessen durchführbar? Obwohl die Gegenüberstellung von nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur seit langem akzeptiert und praktiziert wird, bleibt die selbe Herangehensweise im Hinblick auf die beiden deutschen Diktaturen problematisch. Politische und wissenschaftliche Kontroversen, grundlegende Diskrepanzen sowie die Unvergleichlichkeit der eugenischen Praktiken und der Shoah im Dritten Reich verbieten die Nutzung der klassisch vergleichenden Methoden. Daher nutze ich für meine Untersuchung den Ansatz der Histoire croisée, welche einen flexiblen, induktiven und diachronen Zugang zum Forschungsgegenstand erlaubt. Dieser wird auf einen präzise definierten Forschungsgegenstand angewendet: in diesem Falle auf den Indoktrinationsprozess innerhalb der Jugendorganisationen der beiden Regime.

Mein erster Forschungsschwerpunkt versteht den Körper als Gegenstand einer Sozialreform. Er basiert auf der Betrachtung verschiedener sozialer und philosophischer Strömungen wie etwa der Lebensphilosophie, der Rhythmusphilosophie oder der Körperkultur. Diese Herangehensweise dient als Grundlage für das Verständnis der angestrebten Transformationsprozesse des Körpers in der Hitlerjugend und der Freien Deutschen Jugend. Die Akten dieser beiden Organisation liefern das grundlegende Quellenmaterial meiner Recherchen.

Der zweite Forschungsschwerpunkt betrachtet den Mythos des neuen Menschen, die Verkörperung des totalitären Phantasma, durch den sich die totalitären Bewegungen zu inszenieren suchten. Diesbezügliche Darstellungen – diskursiver oder ikongraphischer Natur – werden auf der Basis vielfältigen Quellenmaterials analysiert. Ein Ästhetisierungsprozess der Politik scheint aus der phantasierten anthropologischen Revolution eine Bedingung für die soziale Revolution gemacht zu haben.