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Lehrforschungsprojekt: Soziale Lebenslagen im ländlichen Raum in Brandenburg

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In diesem zweisemestrigen Lehrforschungsprojekt beschäftigen sich die Studierenden gemeinsam mit dem Forschungsteam der Professur für die Soziologie der Wirtschaft mit ökonomischen, sozialen und kulturellen Transformationsdynamiken im ländlichen Raum Brandenburgs. Unser Projekt bietet  die Möglichkeit, die besondere Ausprägung sozialer Strukturen, ökonomisch-sozialpolitischer Problemlagen und politisch-kulturellen Einstellungen und Deutungsmuster in Brandenburg in den Blick zu nehmen. Initiiert durch den dortigen Gemeinderat, erforscht das Projekt eine Kommune, die zwar mit knapp 700 Einwohner*innen sehr ländlich geprägt und infrastrukturschwach, zugleich aber Teil des Einzugs-, Wohn- und Erholungsgebietes von Berlin ist  - es steht damit in der für Brandenburg typischen, in Deutschland aber ungewöhnlichen Mittelposition zwischen Dorf und Metropole.

In der von uns untersuchten Gemeinde werden die demographischen, kulturellen und ökologischen Transformationsprozesse in Ostdeutschland wie in einem Brennglas deutlich. Die Gemeinde setzt sich aus verschiedenen sozialen Gruppen zusammen: Menschen, die schon zu DDR-Zeiten dort gelebt haben, Zuzügler in der Aufschwung- und Transformationsphase nach der Wende, sowie in den letzten Jahren „Stadtflüchtende“ oder aus ökonomischen Gründen in günstigere Wohnort Gezwungene. Zugleich setzt der demographische Wandel dieser Gemeinde deutlich zu. So bilden sich die unterschiedlichen Transformationsphasen und aktuellen Wandlungsprozesse Brandenburgs und Ostdeutschlands beispielhaft ab.

Das Projekt, das aus Eigenmitteln der Professur, sowie mit Hilfe des Förderkreises der Viadrina und der KuWi-Fakultät finanziert worden ist, gliedert sich in zwei Untersuchungsschritte: Erstens, eine quantitative Umfrage mit Fragebögen an alle Haushalte von April bis September 2022; zweitens, eine qualitative Studie mit ca. 40 längeren Leitfadeninterviews mit Einwohner*innen von Dezember 2022 bis Februar 2023.

Im Zentrum stehen drei Themenkomplexe bzw. Forschungsleitfragen:

  1. Soziale Kontakte: Welche Sozialstruktur zeichnet die Gemeinde aus? Wie interagieren die verschiedenen sozialen und Altersgruppen miteinander? Welche Rolle spielen Nachbarschaftsbeziehungen, Vereine, kulturelle Aktivitäten am Ort für die privaten familiären, Nachbarschafts- und Freundschaftsbeziehungen?
  2. Sozialpolitik: Welchen sozialpolitischen Herausforderungen sehen sich die Gemeinde und ihre Bewohner*innen gegenüber? Welche Erfahrungen haben die Befragten mit Einrichtungen für den Fall von Arbeitslosigkeit, für Kinderbetreuung und Altenpflege usw. gemacht? Welche sozialen Problemlagen haben Sie in iherer Biographie erlebt? Was fehlt am Ort, was ist gut geregelt? Welche Unterstützung bietet die Nachbarschaft?
  3. Politische Kommunikation und Einstellungen: Wie stehen verschiedene Gruppen im Ort zu Fragen der europäischen Integration, der ökologischen Transformation (im Dorf entsteht ein Solarpark), wie sind die Werte und Zugehörigkeitsgefühle ausgeprägt, sehen sie sich primär als Europäer*innen, als Deutsche, als Brandenburger*innen oder als Dorfbewohner*Innen?  Welche Informations- und Diskursstrukturen gibt es vor Ort? 

Obwohl das Projekt in erster Linie als Begegnung von Lehre und Forschung an der Viadrina konzipiert ist, dient es auch als Pilotprojekt für Prof. Dr. Sascha Münnich, um erstens, den Transfer sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse in die Gesellschaft und Politik Brandenburgs zu gewährleisten, und zweitens, um in Zukunft weitere regionale und lokale Sozialforschung zu Fragen der Transformation des ländlichen oder halbstädtischen Raums in Brandenburg durchzuführen und weitere Drittmittelprojekte zur Verbindung von Forschung, Lehre und Transfer in Brandenburg einzuwerben.

Die besondere Bedeutung dieser Art von Sozialforschung liegt zudem darin, dass es gerade in einer solchen Begegnung von Universität und unmittelbarer Umgebung möglich ist, auf dem „grass roots level“ zu verfolgen, wie nationale und europäische Problemlagen der sozio-kulturellen und politischen Transformation (Ökologie, Ökonomie, Migration oder politische Polarisierung) vor Ort kristallisieren, konfligieren und von den Betroffenen zusammengebracht werden müssen.