„Es ist gut für uns an Orten zu sein, an denen wir nachts in Ruhe schlafen können“ – 30 ukrainische Studierende zu Besuch an der Viadrina

30 Studierende von 22 Universitäten aus dem gesamten Gebiet der Ukraine sind noch bis zum 9. September 2023 zu Gast in Frankfurt (Oder) und Słubice. Sie besuchen ein von der Viadrina und der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań organisierten, einwöchigen Workshop über Start-ups und Digitalisierung. Neben allem Input, unter anderem in einem Berliner Co-Working-Space, bietet die Woche den Ukrainerinnen und Ukrainern auch ein paar Tage im Frieden.

Die jungen Frauen und zwei Männer, die an diesem Vormittag im Kreuzberger Co-Working-Space bUm im Kreis stehen und kurz von sich erzählen, studieren Cybersicherheit, Mathematik, Sozialarbeit, Journalismus oder Management. Sie mögen Hunde, unterrichten Capoeira oder treten als Sängerin auf. Und sie haben Geschäftsideen: vom Kunstatelier für Erwachsene über eine politische Denkfabrik bis zu Modedesign. Es scheint keinen großen Unterschied zu geben zwischen ihnen und den kreativen Köpfen hinter den Laptops des Co-Working-Spaces in dem früheren Umspannwerk am Landwehrkanal.

Und doch ist das, was die Gruppe aus der Ukraine von den Berlinerinnen und Berlinern unterscheidet, immer wieder präsent: Seit mehr als anderthalb Jahren ist ihr Alltag vom Krieg in ihrer Heimat bestimmt. „Es ist sehr wichtig und gut für uns, an Orten zu sein, wo es keinen Luftalarm gibt, wo wir abends auf der Straße laufen können und nachts in Ruhe schlafen“, sagt Daryna Samchuk, die an der Nationalen Karazin Universität in Charkiw unter anderem Cyber Security studiert. Derzeit lebt sie in Kyjiw, ihre Seminare und Vorlesungen finden ausschließlich online statt. Viel von ihrem Uni-Alltag im Krieg möchte sie – wie die meisten aus der Gruppe – nicht erzählen. Doch die Stimmung ändert sich schnell, wenn eine von ihnen über das Handy die Nachricht bekommt, dass in ihrer Heimatstadt wieder Luftalarm herrscht oder wenn bei einer Führung über den Viadrina-Campus zur Sprache kommt, dass die eigenen Universitätsgebäude teilweise zerbombt sind.

Der Besuch an der Viadrina geht auf eine Initiative der Adam-Mickiewicz-Universität zurück. Seit Anfang des Jahres lädt die Universität in Poznań regelmäßig eine Gruppe ukrainischer Studierender ein, um sich eine Woche lang fern vom Kriegsgeschehen mit einem Thema zu beschäftigen. Nun findet ein solcher Besuch erstmals in Kooperation mit der Europa-Universität statt. Inhaltlich wurden diesmal Start-ups und Digitalisierung in den Fokus gerückt. „Wie wir tagtäglich sehen, hat die Ukraine eine hochinnovative Bevölkerung mit immensem Potenzial. Wir sind begeistert, dass uns 30 Studierende mit einer Passion für Start-ups besuchen, um sich in Frankfurt (Oder) und Berlin zu vernetzen und die die Herausforderungen unserer Zeit mit Hilfe von Unternehmertum angehen“, sagt Philipp Heinicke vom Viadrina-Gründungszentrum, der einen Teil des Programms organisiert hat.

Die Motivation und Kreativität ist den Teilnehmenden bei allem Erholungsbedürfnis deutlich anzumerken. Als jüngste Teilnehmerin erzählt Kateryna Maliarenko von der Kyjiw Mohyla Akademie, die das erste Mal überhaupt im Ausland ist, von ihrer Motivation: „Seit ich das Buch ,That will never work‘ von Netflix-Gründer Mark Randolph gelesen habe, habe ich eine große Leidenschaft für Start-ups“, erzählt die Management-Studentin. In einem eigenen kleinen Unternehmen könne man viel mehr bewegen als in etablierten Strukturen, ist sie überzeugt.  Eine andere Teilnehmerin sagt beim Gespräch im Berliner Co-Working-Space, dass kleine Gründungen der schnellste und effektivste Weg seien, um etwas zu verändern und Innovationen anzustoßen. „Man muss nicht auf die Politik warten, damit sich etwas tut.“

Neben dem Besuch in Berlin stehen Sprachkurse und Workshops für interkulturelle Kommunikation auf dem Plan der Gruppe. Sie erkunden in Spaziergängen die Doppelstadt Frankfurt (Oder) - Słubice, lernen Gründerinnen und Gründer vor Ort kennen und besuchen die European New School of Digital Studies (ENS). Immer wieder entdecken sie auf ihren Wegen ukrainische Fahnen, Aushänge auf Ukrainisch und andere Solidaritätsbekundungen. „Es macht mich sehr glücklich, dass wir diese Unterstützung für die Ukraine – so weit von der Grenze entfernt – sehen können“, sagt Kateryna Maliarenko.

Fotos: Kostiantyn Mazur und Frauke Adesiyan

Abteilung für Hochschul­kommunikation