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Rückblick auf zwei Gründungsjahre

                                           imgonline-com-ua-Resize-AH5iilqdCdi ©Roman Boichuk

Die Viadrina ist eine besondere Universität. Einerseits ist sie eine der jüngsten Hochschulen Deutschlands – andererseits hat sie eine reiche, wenn auch unterbrochene, akademische Tradition. Die Universität in Frankfurt an der Oder existierte erstmals von 1506 bis 1811. Die geografische Nähe zu Berlin, wo Anfang des 19. Jahrhunderts eine eigene Universität gegründet wurde, führte zur Schließung der Einrichtung und der Verlegung seiner Bibliothek nach Breslau. 1991, im Zuge der Wiedervereinigung und den durch sie neu zu bestimmenden Beziehungen zum östlichen Nachbarn Polen, erschien die Viadrina wieder auf der Landkarte. 

„Viadrina“ ist Latein und bedeutet so viel wie „das an der Oder“. Das westseitig der Oder gelegene Frankfurt ist mit dem auf östlicher Seite liegenden Słubice durch eine Brücke verbunden. Die neue Universität auf beiden Seiten des Flusses besitzt durch das Collegium Polonicum außerdem eine vertiefte Zusammenarbeit mit der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań. 

Bereits vor Gründung des Lehrstuhls für Entangled History of Ukraine, bestand durch den damaligen Präsidenten Alexander Wöll ein ausgesprochenes Interesse an der Ukraine. In Frankfurt fanden die Sommerschule Viadrinicum, sowie das auf Austausch zwischen der deutschen und ukrainischen Zivilgesellschaft abzielende Projekt Ukraine Calling statt. Im Oktober 2017 wurde zudem ein Lektorat für ukrainische Sprache eingerichtet, welches sich außerdem verschiedenen Aktivitäten und thematische Ausstellungen widmete.

Zu eben jener Zeit war der Autor dieser Zeilen Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung (der übrigens an der damaligen Viadrina studierte) und initiierte die Berlin-Brandenburg Ukraine Initiative (BBUI), welche 2017 zumResearch Network Eastern Europe PRISMA UKRAЇNA wurde. Es begann im Januar 2015, als mithilfe der Max-Weber-Stiftung führende Osteuropaforscher*innen wie Rory Finnin, Karl Schlögel, Wolf Lepenies, Serhii Plokhy, Lilia Shevtsova, Ulrich Schmid und andere zusammenkamen, um die Initiative zu unterstützen. In ihr vereinigten sich Berliner und Brandenburger Institutionen mit einem Interesse an der Ukraine. Trotz bescheidener Mittel gelang es eine ganze Reihe wissenschaftlicher Veranstaltungen durchzuführen, so unter anderem Akademien für Nachwuchswissenschaftler*innen in Berlin (2015), Bukarest (2018) und Dnipro (2019). Somit wurde PRISMA UKRAЇNAzum wichtigsten Partner des neuen Lehrstuhls Entangled History of Ukraine, dem deutschlandweit einzigen zur Geschichte der Ukraine. Dass dieser Begriff sich geographisch nicht allein mit der Begrenzung auf das Territorium des Landes erschöpft, zeigen angebotene Kurse wie „Belarus and Ukraine: Historical Trajectories and Post-SovietTransformations”, „Donbas: Historische Region im transregionalen Kontext”, „Introduction into Jewish History ofRussia, Poland, and Ukraine”, „Der Zweite Weltkrieg im osteuropäischen Film“.

In den letzten zwei Jahren seit der Schaffung des Lehrstuhls und meiner Ernennung wurden außerdem weitere gemeinsame Seminare, Fotoausstellungen, eine studentische Exkursion zu Orten jüdischer Geschichte in der Ukraine organisiert. Auch wurden zu Gastvorlesungen eine Reihe ukrainischer Wissenschaftler*innen eingeladen. Dank einer Erasmus+ Förderung konnte Ljiudmyla Pidkujmucha von der Kyjiw-Mohyla-Akademie einen Gastdozentinnenaufenthalt absolvieren.

Die größte und meistbeachtete Veranstaltung dieser Zeit war die Konferenz mit dem Titel „Rethinking Ukrainian Studies: Locally, Regionally, Transnationally“, die vom 16.-17. Mai 2019 in Frankfurt und Słubice stattfand. Unter den Teilnehmenden waren unter anderem: Olena Haleta und Viktoriia Sereda (Lwiw), Andrew Wilson (London), Rory Finnin (Cambridge), Barbara Törnquist-Plewa (Lund), Tatiana Zhurzhenko (Wien), Susi K. Frank und Alexander Kratochvil (Berlin) und viele andere. Eröffnet wurde die Konferenz mit einem Vortrag von Serhii Yekelchyk von der University of Victoria. Organisiert war diese große Zusammenkunft zusammen dem Netzwerk PRISMA UKRAЇNA und wurde möglich durch die tatkräftige Mithilfe Mitarbeiterinnen und Studierenden Bozhena Kozakevych, Veronika Dyminska, Viktoria Savchenko und Roman Boichuk ermöglicht.

Im Rahmen des durch die Hochschulrektorenkonferenz geförderten Projektes „Osteuropastudien in Brandenburg“zwischen der Universität Potsdam und der Viadrina, organisierte der Lehrstuhl die Präsentation des englischsprachigen Buches “Ukraine in Histories and Stories” mit den Gästen Wolodymyr Jermolenko, Wachtang Kebuladze und JuliaSkubitska (moderiert von Annette Werberger). Außerdem wurde im Rahmen des Projektes eine Ausstellung zu dem Holodomor 1932/33 des Donezker/Posener Künstlerpaars Andrii und Lia Dostliev gezeigt.

Eine wichtige strategische Partnerschaft konnte mit der Ukrainischen Katholischen Universität in Lwiw geschlossen werden. Im Februar letzten Jahres fand hierzu ein Netzwerktreffen mit der jetzigen Viadrina-Präsidentin Julia von Blumenthal statt. So soll der studentische und akademische Austausch ausgebaut und perspektivisch gemeinsame Studienprogramme entwickelt werden.

Seine Öffentlichkeitarbeit führt der Lehrstuhl unter anderem mit einem Kanal auf YouTube, auf dem zahlreiche Videos verschiedener Konferenzen und Vorlesungen zu sehen sind.

Eines der Hauptprobleme bei der Entwicklung und Bekanntmachung Ukrainischer Studien in Deutschland ist paradoxerweise in die Belastung der Ukraine mit Vorurteilen und Halbwissen in großen Teilen der hiesigen Gesellschaft. Einerseits wird die Ukraine nicht selten mit Nationalismus und Antisemitismus in Verbindung gebracht. Andererseits existiert sie dabei für viele immer noch als Teil Russlands. Der Widerspruch dieser zwei Annahmen führt dabei zu selten zu ihrer kritischen Analyse. Stattdessen kann man ihre Auswirkungen vielfach entdecken. So führt erstere Annahme zu einer Verkürzung der ukrainischen Geschichte auf die Problematik des integralen Nationalismus, antisemitischer Pogrome, sowie der Kollaboration mit den Nazis. Die zweite lässt sich mit Andreas Kappelers Worten aus seinem großartigen Buch „Ungleiche Brüder“ beschreiben: „die Ukraine [in der westlichen Wahrnehmung] steht noch immer imSchatten Russlands, das seit mehr als zwei Jahrhunderten die Deutungshoheit über die Geschichte Osteuropas hat“.

Was ist nun in dieser Situation zu tun? Erstens ist es nötig, offen und ehrlich über die schwierigsten und schmerzhaftesten Themen der ukrainischen Geschichte zu sprechen. Ein Verschweigen mit der Vorstellung, „dass es all dies nicht gab“, wird nur das oben erwähnte Vorurteil bestätigen. Zweitens ist es wichtig die Vielseitigkeit ukrainischer Geschichte(n) und Kultur(en) zu betonen. Auch deshalb befinden sich auf der Startseite des Lehrstuhls die Namen von Olha Kobyljanska und Lesja Ukrajinka, Joseph Roth und Bruno Schulz, Sergei Prokofjew und Karol Szymanowski, Kasimir Malewitsch und Alexander Archipenko. Diese Liste lässt sich fortsetzen…

Eine weitere wichtige Strategie ist, die Perspektiven der gemeinsamen Kooperationen von Ukrainistik und Polonistik, -Judaistik und -Osmanistik und die Vorteile eines neuen (ukrainischen) Blickwinkels in der Erforschung des Russländischen Reiches und der Sowjetunion aufzuzeigen. Dies würde die Nachfrage nach ukrainistischer Arbeiten wesentlich erhöhen und den Kreis, der an ukrainischen Studien interessierten Wissenschaftler*innen, bedeutend erweitern.

Ein Garant für das Gelingen ist der beständige Ausbau internationaler Kontakte und Austausche. Im Falle des beschriebenen Lehrstuhls geschieht dies bereits mit den Cambridge Ukrainian Studies und dem Harvard UkrainianResearch Institute, sowie einer Reihe von vielen weiteren Universitäten und Forschungseinrichtungen. 

Gesondert möchte ich die Unterstützung dieses Lehrstuhls durch die Botschaft der Ukraine und ihren Botschafter Herrn Andrij Melnyk betonen.

Eine unserer Prioritäten ist und bleibt die Entwicklung der Kontakte mit der Ukraine und dortigen Universitäten, Wissenschaftler*innen und Kulturinstitutionen. 

Aus dem Ukrainischen von Simon Muschik