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Diaspora Exil Migration

Forschungskolloquium: Diaspora, Exil, Migration – Methodische und theoretische Neuansätze V

Das deutschsprachige Exil, dessen Erforschung mittlerweile auf eine langjährige Geschichte zurückblicken kann, gerät in den letzten Jahren vor allem aus einer interdisziplinären Pers­pektive (kultur-)wissenschaftlicher Theorien über Erinnerungskulturen, kulturelle Identitäten sowie Migrations- und Transferbeziehungen in regionalen, nationalen und transnatio­nalen Räumen (Migrationsbewegungen eingeschlossen) erneut ins Blickfeld wissenschaftlichen In­teresses. Aktuelle wissenschaftliche Beiträge formulieren neue Fragen an die Quellen, – im Kontext interkultureller oder interreligiöser Dialoge, der Darstellungen zu jüdischer Kultur und Geschichte, zur Genderforschung, oder zur Kultur, Geschichte, Kunst und Lite­ratur der Nachkriegszeit. Das Kolloquium thematisiert diese unterschiedlichen Ansätze vor dem Hintergrund entstehender MA-Arbeiten und Dissertationen und diskutiert neuere Forschungsliteratur. Es präsentiert Vorträge und Diskussionen mit internationalen Gastwissenschaftlern. 

Die Referentinnen und Referenten stellen dazu ggf. Text­ma­te­rial zur Ver­fü­gung, das der Ein­stim­mung und Vor­be­rei­tung dient. Es kann im Moodleverzeichnis unter dieser Veranstaltung eingesehen werden. Möchten Sie sich für das Kolloquium anmelden, so erfragen Sie das Moodle-Kennwort bitte bei Aleksandra Laski (laski@europa-uni.de). 


14. April 2015

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,

Postgebäude, EUV

Prof. Dr. Michael Nagel (Bremen)

 „Zum Kontakt zwischen Juden und Gelehrten im 18. Jahrhundert“

Vortrag und Diskussion


nagelPortr2011 ©(c) Michael Nagel

Die im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojektes von Frau Dr. Małgorzata Maksymiak erstmals ausgewertete hebräischsprachige Korrespondenz des Rostocker Orientalisten Oluf Gerhard Tychsen (1734-1815) stellt ein bedeutendes Zeugnis der Begegnung zwischen Gelehrten und Juden im Jahrhundert der Aufklärung dar. Seltenerweise kam es seit dem Humanismus zu individuellen Berührungen zwischen der Gelehrtenrepublik und der gesellschaftlichen Randgruppe des Judentums, ab dem Beginn des 18. Jahrhunderts kommt es etwas häufiger – wenngleich immer noch vereinzelt – zu Kontakten. Anhand mehrerer Beispiele geht der Vortrag den Fragen nach, wie sich diese Begegnungen jeweils gestalteten, welche Motive die Beteiligten zusammenbrachten und welche Auswirkungen die Kontakte hatten.

21. April 2015

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,

Postgebäude, EUV

PD Dr. Ernst Müller (Berlin)

„Perspektiven der Begriffsgeschichtsforschung“

Vortrag und Diskussion


Foto_MuellerErnst ©Copyright by Ernst Mueller

Auch nach dem Abschluss der großen begriffsgeschichtlichen Unternehmen ist das Interesse an einer Fortführung dieser Forschungsrichtung ungebrochen. Das trifft vor allem auf Reinhart Kosellecks ‚Geschichtliche Grundbegriffe‘ zu, die derzeit eine enorme internationale Rezeption erfahren und auf andere Kulturen und die jüngere Geschichte ausgedehnt werden sollen. Es betrifft aber auch die Fortführung der wissenschaftsgeschichtlichen Begriffsgeschichte, die im weiteren, oftmals kritischen Sinn an das von Joachim Ritter begründete disziplinäre ‚Historische Wörterbuch der Philosophie‘ anknüpft. Im Vortrag sollen aktuelle Debatten zur Begriffsgeschichte reflektiert und neuere Forschungsrichtungen diskutiert werden. Das betrifft Fragen der Metaphorologie, der Interdisziplinarität, der Internationalisierung und der Medien der Begriffsgeschichte, aber auch die Frage, wie sich die heuristischen Annahmen Kosellecks für eine ins 20.Jahrhundert fortzuführende Begriffsgeschichte verändern.

12. Mai 2015

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,

Postgebäude, EUV

Dr. Marion Kant (Cambridge)

„Unter Palmen und im Paradies? Mythos und Realität der darstellenden Künste im kalifornischen Exil 1933-1945“

Vortrag und Diskussion

 

Wissen wir genug über das Exil der aus Nazi-Deutschland verstoßenen Kunstschaffenden? Gibt es ‚ gesicherte’ Fakten?Trotz der außerordentlich systematischen wissenschaftlichen Arbeit in der Exilforschung seit 1945 müssen wir doch ständig unsere methodologischen Ansätze überprüfen. Die historiographische Forschung hat sich durch mehrere Stadien bewegt: von Fragen der strukturellen Logik des Exils, politisch orientierten Interessen, zu biografischen Schwerpunkten.Am Beispiel des kalifornischen Exils sollen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten für die professionelle Weiterentwicklungvon Tanz, Theater und Musik untersucht werden. Dabei steht sowohl die Realität des amerikanischen Kunstbetriebs zurDebatte als auch die individuellen und kollektiven Strategien, die die Kunstschaffenden wählten, um weiterhin künstlerisch aktiv sein zu können.

19. Mai 2015

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,

Postgebäude, EUV

PD Dr. habil. Eva Lezzi (Berlin)

„Liebe und Gesetz. Christlich-jüdische Liebesbeziehungen in der deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts“

Vortrag und Diskussion


Foto_Lezzi_Eva_190 ©Copyright by Eva Lezzi

Interreligiöse Liebesbeziehungen schürten im 19. Jahrhundert die literarische Fantasie ebenso wie außerliterarische religiöse, philosophische und juristische Debatten. Sie wurden von jüdischen wie christlichen Autorinnen und Autorenin unterschiedlicher Weise genutzt, um prinzipielle Fragen des Zusammenlebens von Juden und Christen zu erörtern und zu symbolisieren. Anhand der Analyse von exemplarischen Romanen und Erzählungen (u.a. von Fanny Lewald,Rahel Meyer, Sara Guggenheim und Leopold Kompert) rückt der Vortrag die im 19. Jahrhundert genuine Spannung zwischen „Liebe und Gesetz“ ins Zentrum. Dabei geht es um folgende Fragen: Kann es Liebe als universelle und somitreligiöse Differenzen überwindende geben oder ist dieses Konzept per se christlich (paulinisch) konnotiert und somit gegen die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, gerichtet? Lassen sich Halacha und ein staatliches Eherecht, das die christliche Eheschließung privilegiert, vereinbaren?

02. Juni 2015

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,

Postgebäude, EUV

Dr. Axel Rüdiger (Hildesheim)

„Otto Bauer und die sozialdemokratische Nationalitätenfrage von 1907“

Vortrag und Diskussion

 

1907 veröffentliche der österreichische Sozialdemokrat Otto Bauer sein Buch über „Die Nationalitätenfrage und dieSozialdemokratie“. Es handelt sich hierbei um die erste gewichtige Auseinandersetzung eines marxistischen Theoretikers mit dem Problem der Nation und der nationalen Minderheiten, die damals breit rezipiert wurde. Alle späterensozialdemokratischen und kommunistischen Ansätze zu diesem Thema bauen mehr oder weniger kritisch, aber dennoch grundsätzlich auf Bauers Darlegungen auf. Der Vortrag zeichnet die Struktur von Bauers Argumentation nach, umanschließend aus der Distanz von über hundert Jahren zu einer politisch-ideengeschichtlichen Bewertung zu kommen.

16. Juni 2015

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,

Postgebäude, EUV

Prof. Dr. Carmine Chiellino (Augsburg)

„Sprache wechseln. Aber wie?“

Vortrag und Diskussion

 


Foto_Chiellino_190 ©Copyright by Chiellino
© Jana Chiellino

Die Kernfrage des Vortrages lautet: wie und nicht warum junge Männer und Frauen interkulturelle Schriftsteller werden wollen. Die Frage scheint mir von Interesse zu sein, weil es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Aufblühen der interkulturellen Literatur im ganzen Europa gegeben hat. Eine beachtliche Anzahl von jungen Männer und Frauen, die vorhatten, Schriftsteller zu werden, haben sich dazu entschieden, das eigene Lebensprojekt nicht ihrer Herkunftssprache, sondern der Landessprache anzuvertrauen, in die sie eingewandert sind. In Bezug auf ihren Entscheidungsprozess, Schriftsteller durch einen Sprachwechsel werden zu wollen, wird man heute noch mit der schlichten Annahme konfrontiert, dass erst die meisterhafte Beherrschung der gewählten Sprache ihr Vorhaben auf den Weg bringen kann. Ist es wirklich so?

23. Juni 2015

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,

Postgebäude, EUV

Prof. Dr. Hans Otto Horch (Aachen)

„‚Ich stamme von jüdischen Eltern‘ – Alfred Döblin und das Judentum“

Vortrag und Diskussion

 

 Foto_Horch_190 ©Copyright by Hans Otto Horch

Alfred Döblin (1878-1957), einer der großen deutschsprachigen Autoren der Moderne, stammt aus einer assmilierten jüdischen Familie. Er emanzipierte sich jedoch bereits früh vom Judentum als Religion, das ihm erstarrt erschien, und
trat aus der jüdischen Gemeinde aus. Dennoch fühlte er sich Juden und Judentum nach wie vor in einer komplexen Weise eng verbunden: kritisch gegenüber den assimilierten ‚Dreitagejuden‘ seiner eigenen westlichen Umgebung, fasziniert von der sicht- und spürbaren ethnischen und religiösen Identität der Ostjuden. Dies spiegelt sich in seinem erzählerischen Werk ebenso wie in einer Reihe von Schriften, in denen Probleme jüdischer Existenz und Kultur thematisiert werden. Bei deren Entstehen spielt der seit dem Ersten Weltkrieg rabiat anwachsende Antisemitismus eine entscheidende Rolle. Vom Beginn der 1920er bis gegen Ende der 1930er Jahre bilden Aufsätze und Schriften zur jüdischen Kultur und jüdischen Existenz einen wesentlichen Teil seines schriftstellerischen Engagements, wobei die Jahre von 1923 bis 1925 einerseits, 1931 bis 1937 andererseits die Schwerpunkte ausmachen. In der Folge wandte sich Döblin dem Christentum zu und ließ sich 1941 in den USA katholisch taufen, ohne dass er in seiner Solidariität den verfolgten Juden gegenüber nachließ. Im Vortrag soll das komplexe Verhältnis Döblins zu Juden und Judentum nachgezeichnet werden.

30. Juni 2015

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,

Postgebäude, EUV

Dr. Susanne Doetz (Berlin)

„Flucht und Emigration jüdischer Ärztinnen des Berliner Städtischen Gesundheitswesens (1933-1945)“

Vortrag und Diskussion


Foto_Doetz ©Copyright by Susanne Doetz

Von den rund 450 Ärzten, die während des Nationalsozialismus aus dem städtischen Berliner Gesundheitswesen aus „rassischen“ und/oder politischen Gründen entlassen wurden, war jeder sechste weiblich. Fast alle galten nach NS-Diktion als „nicht-arisch“. Die meisten Ärztinnen dieser Gruppe hatten ihre Approbation während der Weimarer Republik erhalten und arbeiteten in typisch „weiblichen“ Tätigkeitsfeldern wie der Säuglings- und Schulgesundheitsfürsorge oder der Kinderheilkunde. Viele befassten sich mit sozialhygienischen Fragestellungen. Wie erging es nun diesen „New Weimar women“ in ihren jeweiligen Exilländern? Inwiefern konnten sie ihre berufliche Tätigkeit fortsetzten? Welche geschlechtsspezifischen Unterschiede lassen sich hinsichtlich der Emigrationsverläufe zwischen Ärztinnen und Ärzten nachweisen?

10. Juli 2015

NEU: 10:30–16:00 Uhr

GD 06, EUV

Prof. Dr. Dorothee Gelhard (Regensburg), Dr. Andree Michaelis (Frankfurt/Oder)

„Grenzgänger: Diaspora, Migration und Exil in der neueren deutschsprachigen Literatur“      

Gemeinsamer Workshop mit der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien der Universität Regensburg, der LMU München und dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg

 Programm folgt Durch die Verfolgung ebenso wie durch die politische und geographische Neuordnung Europas nach 1945 gerieten jüdische Lebenswege im 20. Jahrhundert zu besonders exponierten Beispielen eines Erfahrungsraums, der durch Migrationsbewegungen und Exilstationen bestimmt wurde. Gerade diesem Zusammenhang wurde in der Forschungsliteratur indes bisher kaum Beachtung geschenkt, die drei Aspekte wurden vielmehr separat voneinander behandelt. Wie dagegen Diaspora, Migration und Exil als einander bedingende und beeinflussende Erfahrungswelten in einem Zusammenhang stehen, soll in diesem Workshop diskutiert werden. In einer gemeinsamen Sitzung des Kolloquiums „Diaspora – Exil – Migration. Methodische und theoretische Neuansätze“ mit Doktorandinnen und Doktoranden der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien der Universität Regensburg und der LMU München werden am besonderen Beispiel der Erzählung „Ein schöner Bastard“ von Vladimir Vertlib neuere Forschungsansätze erörtert und diskutiert. Daneben werden ausgewählte Dissertations- und Forschungsprojekte vorgestellt, die einen Bezug zum Workshopthema aufweisen.

Geleitet wird der Workshop von Prof. Dr. Dorothee Gelhard (Regensburg) und Dr. Andree Michaelis (Frankfurt/Oder).      
Bitte erfragen Sie Informationen wie auch Hinweise zur vorbereitenden Lektüre über die E-­Mail-Adresse: michaelis@europa‐uni.de.    

14. Juli 2015

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,

Postgebäude, EUV

PD Dr. habil. Sabine Eickenrodt (Bratislava)

„Das Beispiel Don Quijote. Käte Hamburgers Theorie des Humors im
Kontext von Emigration und Remigration“

Vortrag und Diskussion


Foto_Eikenrodt ©Copyright by Sabine Eickenrodt

Käte Hamburgers im Göteborger Exil entstandene und nach ihrer Rückkehr publizierte „Logik der Dichtung“ (1957) hat Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Wenig bekannt sind hingegen ihre Arbeiten zur humoristischen Narration, die an Cervantes Don Quijote und in Auseinandersetzung mit dem zeitgleich nach Deutschland remigrierten langjährigen Freund und Herausgeber der historisch-kritischen Jean Paul-Ausgabe, Eduard Berend, entstanden. Dessen Habilita-tionsschrift über die Geschichte des humoristischen Romans konnte nach der nationalsozialistischen Machtergreifungund Berends Flucht nicht abgeschlossen werden, und Hamburgers frühe Habilitationspläne („Existenz und Humanität“) waren von Anfang an zum Scheitern verurteilt. In ihren humortheoretischen Schriften verabschiedet Hamburger diePrämissen einer Ästhetik des Humors und fragt vielmehr – im Rahmen einer Sprachtheorie der Dichtung – nach den strukturellen Gesetzmäßigkeiten humoristischen Erzählens, das sie strikt auf ein „Humanum“ verpflichten will. Der Vortrag wird zeigen, dass ihr Begriff von einer „epischen Struktur des Humors“ wichtige Impulse aus organologischen – an Begriffen des „Symbols“ und der „Inkarnation“ orientierten – Sprachursprungstheorien des 18. Jahrhunderts bezieht und kaum ohne ihre Emigrationserfahrungen zu verstehen ist.