Forschungskolloquium: Diaspora, Exil, Migration – Methodische und theoretische Neuansätze VI
Das deutschsprachige Exil, dessen Erforschung mittlerweile auf eine langjährige Geschichte zurückblicken kann, gerät in den letzten Jahren vor allem aus einer interdisziplinären Perspektive (kultur-)wissenschaftlicher Theorien über Erinnerungskulturen, kulturelle Identitäten sowie Migrations- und Transferbeziehungen in regionalen, nationalen und transnationalen Räumen (Migrationsbewegungen eingeschlossen) erneut ins Blickfeld wissenschaftlichen Interesses. Aktuelle wissenschaftliche Beiträge formulieren neue Fragen an die Quellen, – im Kontext interkultureller oder interreligiöser Dialoge, der Darstellungen zu jüdischer Kultur und Geschichte, zur Genderforschung, oder zur Kultur, Geschichte, Kunst und Literatur der Nachkriegszeit. Das Kolloquium thematisiert diese unterschiedlichen Ansätze vor dem Hintergrund entstehender MA-Arbeiten und Dissertationen und diskutiert neuere Forschungsliteratur. Es präsentiert Vorträge und Diskussionen mit internationalen Gastwissenschaftlern.
Die Referentinnen und Referenten stellen dazu ggf. Textmaterial zur Verfügung, das der Einstimmung und Vorbereitung dient. Es kann im Moodleverzeichnis unter dieser Veranstaltung eingesehen werden. Möchten Sie sich für das Kolloquium anmelden, so erfragen Sie das Moodle-Kennwort bitte bei Aleksandra Laski (laski@europa-uni.de).
03. Mai 2016
14:15–15:45 Uhr
Stephan-Saal,
Postgebäude, EUV
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Prof. Dr. Friedrich Vollhardt (München)
„G. E. Lessing und Moses Mendelssohn. Eine Freundschaft und einige ihrer Wirkungen“
Vortrag und Diskussion
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Fällt der Name Lessings, ist oft von dem neuen, in Deutschland bis dahin unbekannten Typus des freien Schriftstellers und Intellektuellen die Rede, der sprachlichen Eleganz seiner Schriften und der Unbestechlichkeit des Kritikers. Vor allem aber wird an den Kosmopolitismus Lessings erinnert, sein Eintreten für die Emanzipation der Juden und seine Freundschaft mit Moses Mendelssohn. Ganz in der Gegenwart angekommen ist man, wenn die von Nathan erzählte Ringparabel als noch immer gültige Anleitung zu einer Verständigung der Religionen beschworen wird. War Mendelsohn ein Vorbild für diese Figur des weisen Juden? Der Vortrag wird die späte Phase dieser Freundschaft nach 1770 beschreiben und auf einige Wirkungen nach dem Tode Lessings im Jahr 1781 eingehen.
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10. Mai 2016
16:15–17:45 Uhr
Stephan-Saal,
Postgebäude, EUV
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Prof. Dr. Mario Kessler (Potsdam)
„Die ‚Gegenspieler’ der Poale Zion: Die Komintern und die Kommunistische Partei Palaestinas in den 1920er Jahren“
Vortrag und Diskussion
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Die Frühgeschichte der kommunistischen Bewegung in Palästina ist mit zwei zentralen Entwicklungstendenzen in der internationalen Arbeiterbewegung verbunden: mit der Entstehung der jüdischen Arbeiterbewegung in Sowjetrussland in den Jahren unmittelbar nach der Oktoberrevolution sowie den Beziehungen zwischen Kommunisten und Sozialistischen Zionisten während der Entstehung der Kommunistischen Internationale (Komintern). Die Untersuchung beider Aspekte, insbesondere des Letztgenannten, ist zum Verständnis der widersprüchlichen und konfliktbeladenen historischen Entwicklung der kommunistischen Bewegung in Palästina während der 1920er Jahre unerlässlich.
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24. Mai 2016
16:15–17:45 Uhr
Stephan-Saal,
Postgebäude, EUV
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Prof. Dr. Helga Embacher (Salzburg)
„Exil in Shanghai – Begegnungen und Konfrontationen mit dem „Fremden““
Vortrag und Diskussion
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Ein auffallendes Charakteristikum des Exils in Shanghai ist - neben extrem schwierigen Überlebensbedingungen - die unfreiwillig erfolgte Konfrontation mit äußerst fremd empfundenen Kulturen. Dies wurde in der Forschung lange außer Acht gelassen, der Fokus lag auf der Bewahrung der europäischen Kultur und deutschen Sprache in „Little Vienna“ und „Little Berlin“. Anhand von Großteils unveröffentlichten Autobiographien, Interviews und Berichten geht der Vortrag den Begegnungen mit den häufig verarmten Chinesen, den Japanern sowie den amerikanischen Befreiern nach. Wie gezeigt wird, beeinflussten neben dem Alter und Geschlecht vor allem die zeitliche Nähe bzw. Distanz zum Exil die Wahrnehmungen bzw. Erinnerungen an das „Fremde“. Wird im Rückblick häufig die Anständigkeit und Hilfsbereitschaft von Chinesen betont, so finden wir in frühen Aussagen sehr negative Haltungen.
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07. Juni 2016
16:15–17:45 Uhr
Stephan-Saal,
Postgebäude, EUV
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Dr. Konstantin Kaiser (Wien)
„Prosa und Poesie, Weite und Enge, Geschichtlichkeit und Subjektivität - Motive des Schreibens im Exil“
Vortrag und Diskussion
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Mit den Erfahrungen der Niederlage, der Verfolgung und der Vertreibung geht eine grundlegende Erschütterung der Wertvorstellungen und der Arbeitsmethoden der Schreibenden einher. Befragt werden die poetologischen Antwortversuche von Joseph Kalmer, Berthold Viertel, Stella Rotenberg. Wäre es nicht an der Zeit, eine neue Begrifflichkeit für die Analyse dieser Texte zu entwickeln?
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14. Juni 2016
16:15–17:45 Uhr
Stephan-Saal,
Postgebäude, EUV
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Prof. Dr. Helmut Peitsch (Potsdam)
„Maidanek als ‚Erkennungsszene‘: Georg Lukács‘ Beitrag zur Debatte über Exil und Innere Emigration in den ersten Nachkriegsjahren“
Vortrag und Diskussion
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„Das innere Licht ist die trübste Beleuchtungsart“, war 1945 der Titel eines Aufsatzes von Georg Lukács im ersten Heft der vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands herausgegebenen Zeitschrift „Aufbau“. Mit ihm begann die Publikation von im sowjetischen Exil bereits erschienenen Aufsätzen in der Zeitschrift wie auch in Büchern des Aufbau Verlags des Kulturbunds. Sie beschäftigten sich sowohl mit in Nazi-Deutschland publizierten Romanen als auch mit solchen der Exilliteratur.
Obwohl der Einfluss von Lukács‘ auf die Kultur- und Literaturpolitik in der sowjetischen Besatzungszone ein Gemeinplatz der Literaturgeschichtsschreibung ist, ist noch nie konkret gefragt worden, welchen Beitrag Lukács zur Debatte über Innere Emigration und Exil geleistet hat.
1942 hatte Lukács in der „Internationalen Literatur“ über „Die verbannte Poesie“ geschrieben: „Entsteht in Deutschland ein Prozeß […] der Selbstbesinnung des Volkes, so kann er nur hier, nur bei dieser in Zeiten der Finsternis aus Deutschland verbannten Poesie anknüpfen.“ Im Schlusskapitel „Faschismus und Antifaschismus“ der 1945 erschienenen Broschüre „Deutsche Literatur im Zeitalter des Imperialismus“ betonte er einleitend: „Auch die Wehrlosigkeit selbst der intellektuell und moralisch besten Deutschen gegen das Gift des Hitlerfaschismus ist eine Mitschuld.“
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21. Juni 2016
16:15–17:45 Uhr
Stephan-Saal,
Postgebäude, EUV
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Dr. Alexa Geisthövel (Berlin)
„Schule machen: Die klinische Abteilung Viktor von Weizsäckers in den 1920er und 1930er Jahren“
Vortrag und Diskussion
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Viktor von Weizsäcker gilt heute als einer der Gründerväter der psychosomatischen Medizin in Deutschland und ist nach wie vor als Theoretiker einer medizinischen Anthropologie bekannt. Der Vortrag behandelt jedoch nicht ein weiteres Mal sein medizintheoretisches Werk, sondern wird sich dem Arbeiten und Lernen auf der Nervenabteilung der Medizinischen Klinik Heidelberg widmen, die Weizsäcker von 1920 bis 1941 leitete. Wie verhielten sich Weizsäckers Programmatik und der Behandlungsalltag zueinander? Gab es einen erkennbaren Stil, der den Mitarbeitern eine gemeinsame Sozialisationserfahrung bescherte? Inwiefern lässt sich aus der Praxis heraus von einer „Heidelberger Schule“ sprechen?
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28. Juni 2016
16:15–17:45 Uhr
Stephan-Saal,
Postgebäude, EUV
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Andrea M. Lauritsch (Klagenfurt)
„‚Mann des Ostens‘ – Moshe Yaakov ben-Gavriêl (1891–1965) im Palästina der 1930er Jahre“
Vortrag und Diskussion
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Der gebürtige Wiener Moshe Y. ben-Gavriêl (ursprünglich Eugen Höflich) übersiedelte 1927 als überzeugter Kulturzionist nach Jerusalem. Am neuen Wohnort, dem er sich seit seiner Stationierung 1917 als k. u. k. Offizier innerlich verbunden fühlte, versuchte er – gemeinsam mit seiner Ehefrau Mirjam Schnabel (1893–1980), die dort als Schauspielerin und Phonetikerin arbeitete – eine neue Existenz aufzubauen. Als freiberuflicher Auslandskorrespondent, deutschschreibender Schriftsteller, Haganah-Angehöriger und im örtlichen politischen Leben mit zahlreichen Anregungen auftretend, galt sein ganzes Bemühen der jüdisch-arabischen Verständigung im Vorderen Orient. Ben-Gavriêl, der Schöpfer der panasiatischen Idee, sah in der Rückbesinnung der Juden auf ihr orientalisches Erbe – bei gleichzeitiger Abwendung vom „europäischen“ Denken – und dem Aufbau eines binationalen Palästinas die wichtigsten zeitgenössischen Forderungen. Sein tatkräftiger Einsatz dafür war begleitet von existentiellen Sorgen, politischen Enttäuschungen und fehlgeschlagenen Buchprojekten. Während der 1930er Jahren bestimmen die Bedrohungen durch die Araberaufstände (Wächtertätigkeit in der Stadt) und den Nationalsozialismus (für seine Publikationstätigkeit und seine Familie) sein Schreiben und Wirken.
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05. Juli 2016
16:15–17:45 Uhr
Stephan-Saal,
Postgebäude, EUV
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Prof. Dr. Irmela von der Lühe (Berlin)
„Göttliches Gesetz und menschliche Erfahrung: Margarete Susmans Hiob-Lektüre“
Vortrag und Diskussion
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Als Dichterin und Denkerin des Dialogs, als religiös-säkulare Philosophin und als weibliche Stimme im theologisch-intellektuellen Streit der Religionen und Konfessionen wird Margarete Susman gern bezeichnet. Theologische, ästhetische und geschlechtertypische Zuschreibungen bestimmen die Rezeption ihres Werkes bis heute; im Anschluss an neuere Forschungen (E. Klapheck) soll es um eine Lesart gehen, die Susman als Repräsentantin einer religiös-säkularen Philosophie und ihr „Hiob“-Buch zugleich als brisanten Beitrag zu einer „Theologie nach Auschwitz“ zu verstehen versucht.
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