Banner Viadrina

Diaspora Exil Migration

Forschungskolloquium: Diaspora, Exil, Migration – Methodische und theoretische Neuansätze X

Das deutschsprachige Exil, dessen Erforschung mittlerweile auf eine langjährige Geschichte zurückblicken kann, gerät in den letzten Jahren vor allem aus einer interdisziplinären Pers­pektive (kultur-)wissenschaftlicher Theorien über Erinnerungskulturen, kulturelle Identitäten sowie Migrations- und Transferbeziehungen in regionalen, nationalen und transnatio­nalen Räumen (Migrationsbewegungen eingeschlossen) erneut ins Blickfeld wissenschaftlichen In­teresses. Aktuelle wissenschaftliche Beiträge formulieren neue Fragen an die Quellen, – im Kontext interkultureller oder interreligiöser Dialoge, der Darstellungen zu jüdischer Kultur und Geschichte, zur Genderforschung, oder zur Kultur, Geschichte, Kunst und Lite­ratur der Nachkriegszeit. Das Kolloquium thematisiert diese unterschiedlichen Ansätze vor dem Hintergrund entstehender MA-Arbeiten und Dissertationen und diskutiert neuere Forschungsliteratur. Es präsentiert Vorträge und Diskussionen mit internationalen Gastwissenschaftlern. 

Die Referentinnen und Referenten stellen dazu ggf. Text­ma­te­rial zur Ver­fü­gung, das der Ein­stim­mung und Vor­be­rei­tung dient. Es kann im Moodleverzeichnis unter dieser Veranstaltung eingesehen werden. Möchten Sie sich für das Kolloquium anmelden, so erfragen Sie das Moodle-Kennwort bitte bei Kathrin Stopp (stopp@europa-uni.de). 

24. April 2018

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,

Postgebäude, EUV

Prof. Dr. Hans-Otto Horch (Aachen)

„Das Identische im Nichtidentischen. Joseph Roth als deutsch-jüdischer Schriftsteller”

Vortrag und Diskussion


Foto_Horch_190 ©Copyright by Hans Otto Horch

Joseph Roth zählt zu den bedeutendsten Repräsentanten der deutsch-jüdischen Literatur des 20. Jahrhunderts: ein Schriftsteller, dessen Weltgeltung durch zahlreiche Übersetzungen sowie Verfilmungen seiner Erzählwerke belegt ist. In ihnen sind jüdische Aspekte verarbeitet wie bei kaum einem anderen zeitgenössischen Autor. Sie zeigen das Judentum als religiöse Tradition in säkularisierter Transformation und als Exil-Existenz einer Minderheit inmitten feindlicher Mehrheiten, deren Lebensform geprägt ist von latenter Gefährdung und Heimatverlust. Im Vortrag werden wesentliche Aspekte dieser Existenz mit Blick auf Leben und Werk behandelt.

15. Mai 2018

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,
Postgebäude, EUV

Prof. Dr. Andrea Geier (Trier)

„Was sind ‚interkulturelle Erfahrungen’ und ‚Fremdheit’ in der Gegenwart(sliteratur)? Über Erwartungen, Beschreibungsmuster und Gattungskonventionen“


Geier ©Frau Geier persönlich

Abbas Khider war 2017 der letzte Autor, dem der Chamisso-Literaturpreis verliehen wurde. Einführung und Abschaffung dieses Preises sind symptomatisch für die Ambivalenzen, die sich mit der Wahrnehmung und Zuschreibung von ‚interkulturellen Erfahrungen’ in der deutschsprachigen Literatur in den letzten Jahrzehnten verbinden: Analog zum problematischen Begriff der ‚Frauenliteratur’ waren Bemühungen, die Leistungen von AutorInnen mit migrantischem bzw. postmigrantischem innerhalb der deutschsprachigen Literatur besser sichtbar zu machen, der Gefahr ausgesetzt, distinkte Gruppenidentitäten zu behaupten, mit ‚Fremdheit’ als zentralem Merkmal, und damit eher zu einer neuen Ghettoisierung beizutragen. Im Vortrag möchte ich anhand ausgewählter Beispiele einige Zuschreibungs- und Deutungsmuster der interkulturellen und postkolonialen Literaturwissenschaft aufzeigen und deren produktives wie auch ambivalentes Potential unter der Leitfrage ‚Was sind ‚interkulturelle Erfahrungen’ und wer bestimmt eigentlich, welche und wessen Erfahrungen das sind?’ erörtern.

25. Mai 2018,

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal, Postgebäude, EUV

Prof. Dr. Uwe Puschner (Berlin)

„Antizionismus in der langen Jahrhundertwende. Die Völkischen und der Zionismus“

Vortrag und Diskussion

Puschner_Uwe_3 ©Herr Puschner persönlich

Antizionismus ist eng mit der Staatlichkeit Israels verbunden und wird als ein Phänomen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts betrachtet. Die Beschäftigung mit den Auseinandersetzungen der Antisemiten und Völkischen mit dem Zionismus in der langen Jahrhundertwende, in den Jahren zwischen 1880 und 1933, legen es nahe, bereits für diesen Zeitraum von Antizionismus zu sprechen. Denn Antisemiten und Völkische beurteilten den Zionismus nur auf den ersten Blick als eine Lösung der sogenannten Judenfrage. Bei genauerer Analyse der antisemitischen und völkischen Texte wird vielmehr deutlich, dass der Zionismus in Gestalt einer jüdischen Staatlichkeit als eine potenzierte Bedrohung verstanden wurde. Dies führte nicht zuletzt zu einer weiteren Radikalisierung des – völkischen – Antisemitismus, vornehmlich nach dem Ersten Weltkrieg.

5. Mai 2018

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal,

Postgebäude, EUV

Prof. Dr. Kerstin Schoor (Frankfurt/Oder)

„Krise der Aufklärung. Traditionen deutscher Kultur und das Bildungsideal eines „biblischen Humanismus“ im jüdischen Kulturkreis im NS-Deutschland”

Vortrag und Diskussion


Schoor_Kerstin__9866 ©Foto von Heide Fest, EUV

Der Vortrag beschreibt das Selbstverständnis deutscher Juden im NS-Deutschland im Kontext einer kritischen Re-lektüre zeitgenössischer Rezeptionen der deutschen und europäischen Aufklärung als jener geistigen Bewegung, mit der zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert die Moderne ihren Ausgang nahm. In ihrem Gefolge hatte sich die Transformation der jüdischen Gemeinschaft und Kultur in die bürgerliche Gesellschaft von ihren Anfängen bis zur Reichsgründung 1871 vollzogen. Das ab etwa 1820 als Emanzipation bezeichnete Bestreben der jüdischen Minderheit, sich von jedweder Form der Fremdbestimmung zu befreien und im Handeln und Denken zu selbständigen und mündigen Bürgern zu werden, war zu einer Art Sinnbild des Fortschrittsdenkens der Aufklärung geworden. Angesichts der aggressiv antisemitischen Politik des NS-Staates musste daher umgekehrt das Verhältnis zur Aufklärung in den internen wie öffentlichen Debatten deutscher Juden nach 1933 in Deutschland gewissermaßen als ‚Gretchenfrage‘ im Prozess der kommunikativen Auseinandersetzung mit einem von außen beschädigten Selbstverständnis großer Teile der deutsch-jüdischen Minderheit betrachtet werden. Am Ende eines Transformationsprozesses, dessen Anfänge seit dem Austritt aus dem Ghetto eng mit der geistigen Bewegung der Aufklärung verbunden waren, stand für Schriftsteller und Künstler jüdischer Herkunft im Verhältnis zur Aufklärung auch das Verhältnis zu deutscher bzw. zu jüdischer Kultur als solches erneut zur Debatte.

19. Juni 2018

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal, Postgebäude, EUV

Prof. Dr. Atina Grossmann (New York)

“Trauma, Privilege, and Adventure in Transit: German-Jewish Refugees in Iran and India”

Vortrag und Diskussion

Grossmann ©Frau Grossmann persönlich

The lecture examines the intensely ambivalent and paradoxical experiences, sensibilities, and emotions of bourgeois Jews who found refuge in the “Orient” of India and Iran after 1933. Always shadowed by the emerging European catastrophe, these uprooted Jews navigated complex and unfamiliar terrain, privileged as adventurous Europeans in exotic non-western, colonial or semi-colonial societies but also homeless, stateless, and with only an inchoate anxious sense of their families’ fate or what their future held.
Drawing on archival sources, memoirs and letters, fiction, second and third generation reflections, and an extensive collection of family correspondence and memorabilia from both Iran and India (1935-1947), the paper probes refugees’ understanding of their own unstable position, their efforts to come to terms with emerging revelations about the destruction of European Jewry, as well as the broader historical drama of entangled anti-fascist and anti-colonial struggles.

3. Juli 2018

16:15–17:45 Uhr

Stephan-Saal, Postgebäude, EUV

Prof. Irmela von der Lühe (Berlin)

„Die Judenfrage: Texte und Kontexte einer Debatte im Jahre 1930“

Vortrag und Diskussion

vdLuehe200x_2 ©©Foto von Irmela von der Lühe selbst

Die Septemberausgabe der „Süddeutschen Monatshefte“ des Jahres 1930 widmete sich zur Gänze der sog. „Judenfrage“, und stolz konstatierte der Herausgeber im Vorwort. „Es ist wohl das erste Mal, dass an einer Veröffentlichung Juden und Antisemiten zusammenarbeiten“. Tatsächlich stammen von den 14 Beiträgen sechs aus der Feder von Repräsentanten des Judentums (darunter Eva Reichmann-Jungmann und Leo Baeck), zwei weitere schreiben aus konfessionell-klerikaler Perspektive, während der an 10. Stelle folgende Beitrag Ernst Jüngers (Über Nationalismus und Judenfrage) mit den beiden folgenden nationalchauvinistische und radikal-antisemitische Positionen repräsentiert. Der Vortrag wird vor allem Jüngers Essay einer genauen Analyse unterziehen und zugleich die diskurspolitischen Kontexte der gesamten Debatte beleuchten.