Forschungskolloquium_SoSe_19
Forschungskolloquium: Diaspora, Exil, Migration – Methodische und theoretische Neuansätze XII
Das deutschsprachige Exil, dessen Erforschung mittlerweile auf eine langjährige Geschichte zurückblicken kann, gerät in den letzten Jahren vor allem aus einer interdisziplinären Perspektive (kultur-)wissenschaftlicher Theorien über Erinnerungskulturen, kulturelle Identitäten sowie Migrations- und Transferbeziehungen in regionalen, nationalen und transnationalen Räumen (Migrationsbewegungen eingeschlossen) erneut ins Blickfeld wissenschaftlichen Interesses. Aktuelle wissenschaftliche Beiträge formulieren neue Fragen an die Quellen, – im Kontext interkultureller oder interreligiöser Dialoge, der Darstellungen zu jüdischer Kultur und Geschichte, zur Genderforschung, oder zur Kultur, Geschichte, Kunst und Literatur der Nachkriegszeit. Das Kolloquium thematisiert diese unterschiedlichen Ansätze vor dem Hintergrund entstehender MA-Arbeiten und Dissertationen und diskutiert neuere Forschungsliteratur. Es präsentiert Vorträge und Diskussionen mit internationalen Gastwissenschaftlern.
Die Referentinnen und Referenten stellen dazu ggf. Textmaterial zur Verfügung, das der Einstimmung und Vorbereitung dient. Es kann im Moodleverzeichnis unter dieser Veranstaltung eingesehen werden. Möchten Sie sich für das Kolloquium anmelden, so erfragen Sie das Moodle-Kennwort bitte bei Kathrin Stopp (stopp@europa-uni.de).
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Der Vortrag wird auf der Grundlage des Handbuchs der deutschen Literatur Prags und der Böhmischen Länder (Stuttgart 2017) die Neuausrichtung der Forschung zur in Prag entstandenen deutschsprachigen Literatur vorstellen. Dabei geht es darum, falsche Zuschreibungen wie etwa die Abgrenzung einer ‚Prager deutschen Literatur‘ im Zeichen eines grundlegenden Humanismus von einer vermeintlich durchgängig nationalistischen, gar präfaschistischen sudetendeutschen Literatur zu überwinden. An deren Stelle tritt eine transkulturelle und -regionale Neuverortung der deutschsprachigen Literatur der Böhmischen Länder im komplexen Wirkungs- und Spannungsfeld von deutscher, jüdischer, tschechischer und habsburgischer Literatur und Kultur. Dies führt nicht zuletzt auch zu einem anderen Blick auf das Werk des berühmtesten der Prager deutschen Autoren: Franz Kafka. |
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Im Mittelpunkt der geplanten Biographie des Berliner deutsch-jüdischen Schriftstellers, Kritikers und Dramaturgen Julius Bab (1880-1955) steht seine Persönlichkeit als aufmerksamer und sensibler Zeitgenosse, der aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben seiner Zeit teilnahm. Parallel zu seinem Schaffenshöhepunkt in den 1920er Jahren radikalisierten sich die Angriffe der NS-Ideologen auf die deutsche Judenheit. Da die Position jüdischer Menschen im Deutschen Reich und somit auch im deutschen Kulturleben erheblich angefeindet war, engagierte sich Bab, der Mitglied der liberal ausgerichteten DDP war, in der Abwehr des Antisemitismus, d.h. einer der Untersuchungsgegenstände ist, wie er versuchte, mit seinen publizistischen und literarischen Fähigkeiten sich gegen den aufkommenden Nationalsozialismus zu stellen. |
Jan Faktor ist ein tschechischer Autor jüdischer Herkunft, der in der DDR gelebt und dort angefangen hat auf Deutsch zu schreiben. In seinen beiden Romanen, auf die sich der Vortrag beziehen wird, entwirft er Figuren, die sich in einer Ausei- nandersetzung mit der Mehrheitsgesellschaft befinden. Die Erzähler Schornstein und Georg sind Angehörige der zweiten Generation nach der Shoah, daneben charakterisiert Faktor sie durch weitere Merkmale, die zum Teil größeren Raum einnehmen, etwa ihre Geschlechtlichkeit (Männlichkeit) oder ihre Gesundheit (bzw. Krankheit). Die insgesamt komplizierte und sich ständig verschiebende Identität der Protagonisten soll auf den Begriff des Minoritären bezogen werden. Die Konstruktion des Jüdischen in den Romanen wird von einer deterritorialisierenden Bewegung im Schreiben Faktors erfasst, die sich wesentlich im Humor der Romane durchsetzt. |
4. Juni 201916:15–17:45 UhrStephan-Saal,Postgebäude, EUV |
PROF. DR. GUY MIRON (TEL AVIV)„Usable Past and the Waning of Emancipation in Europe – A Cooperative Perspective“Vortrag und Diskussion |
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My talk will deal with the ways in which Jewish spokespeople from three European communities-Germany, France, and Hungary-confronted the challenges of the decline collapse of emancipation during the 1930s and the early 1940s. I will show how Jewish intellectuals and publicists from various political and ideological camps assessed the long-term signifi- cance of this crisis by turning to Jewish history and memory. Bringing a variety of sources from the Jewish press I will de- monstrate how they used the past in order to understand their present political struggles and find meaning in contemporary events. |
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Rückbesinnung verlangt nach einer Motivation, nach einer Art Versprechen. Wer sich rückbesinnt, tut das in positiver Absicht. „Tschuva“ (hebr. für Umkehr, Reue...) beschreibt die Verpflichtung eines gläubigen Juden, einer gläubigen Jüdin, sich seiner, ihrer Verfehlungen immer wieder bewusst zu werden, damit eine Umkehr zum Guten möglich wird, damit „schlim- me Urteile“ abgewendet werden können. Am Ende bedeutet Rückbesinnung Besinnung darauf, was es heißt Jude, Jüdin zu sein. In Deutschland wie in Österreich wurden im Verlauf des Zweiten Weltkriegs die Stimmen jüdischer Repräsentanten - von „rechts bis links“, von „liberal bis orthodox“, von „zionistisch bis assimiliert, bis deutschnational“ - zunehmend deutlich, Stimmen, die den täglich mehr entrechteten wie drangsalierten Menschen eindringlich rieten: „Besinnt euch (wieder) eures Judentums!“ Die jüdische Presse im Dritten Reich spiegelt die „Gesinnungseinigkeit aus Not“ wider. War diese so nachvollziehbare „Strategie“ im Rahmen dessen, was sie leisten konnte, erfolgreich? Wie viel Verzweiflung, wie viel Hoffnung verbarg sich hinter diesem Aufruf? Wie viel Überzeugung? Wie lässt sich ihm nach jeweils unterschiedlicher Herkunft und Tradition Folge leisten? Fragen, die auch darum kreisen, wie die menschliche Psyche funktioniert. |
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Das Paradigma der jüdisch-christlichen Männerfreundschaft, die privat, halböffentlich und öffentlich gelebt und gezeigt wird, nimmt in Aschkenas seinen Ausgang bei Moses Mendelssohn. Um 1800 findet ein Paradigmenwechsel in den jüdisch-christlichen Beziehungen in Preußen statt: Das Aufklärungs-Paradigma der Männerfreundschaft zwischen einem Juden und einem Christen, beispielhaft die Freundschaft Mendelssohns mit Lessing, mit Nicolai oder mit Thomas Abbt, wird abgelöst durch das ‚romantische‘ Paradigma der hetero-erotischen Freundschafts- und Liebesbeziehung insbesondere zwischen Jüdinnen und Christen, die bisweilen sogar zu Konversion, Liebesheirat und gemeinsamer Familiengründung führen. Die viel intimere, heterosexuelle jüdisch-christliche Liebesbeziehung, gar Liebesheirat, negativ klassifiziert: die |
9. Juli 201916:15–17:45 UhrStephan-Saal,Postgebäude, EUV |
PROF. DR. MICHAEL LUTZELER (ST. LOUIS)„Erziehung zur Demokratie: Hermann Broch und Nachkriegs-Deutschland“Vortrag und Diskussion |
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Hermann Broch ging im Juli 1938 ins schottische und im Oktober 1938 ins amerikanische Exil. Seitdem war es ihm in seinem essayistischen Werk darum zu tun, die amerikanische Demokratie in kulturkritischen, edukatorischen, juristischen und massenpsychologischen Studien zu erkunden, um sich damit Vergleichsmaßstäbe zur Bewertung der sozialen und politi- schen Verwerfungen im Europa der 1930er und 1940er Jahre zu erarbeiten. Umgekehrt spürte er auch jenen autoritären Tendenzen in den USA nach, die er als freiheits- und friedensgefährdend in Deutschland und Österreich in ihrer vollen Bedrohlichkeit kennengelernt hatte. Gegen Ende des Krieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit verfasste Broch Denkschriften zur demokratischen Erziehung in Deutschland und Österreich, die von den Prinzipien der Menschenrechte und der Menschenwürde sowie den besten Traditionen der Gewaltenteilung amerikanischer Regierungspraxis ausging. |
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Für einen Sammler – so der vor den Nationalsozialisten geflohene Kulturwissenschaftler und Philosoph Walter Benjamin – „ist nicht nur sein Objekt von Belang, sondern auch dessen ganze Vergangenheit“, die „zu dessen Entstehung und sachlicher Qualifizierung gehört wie die Details: Vorbesitzer, Entstehungspreis, Wert etc. Dies alles, die ‚sachlichen’ Daten wie jene anderen, rücken für den wahren Sammler in jedem einzelnen seiner Besitztümer zu einer ganzen magischen Enzyklopädie, zu einer Weltordnung zusammen, deren Abriss das Schicksal seines Gegenstandes ist“. Brachen allerdings Weltordnungen zusammen, dann hatte die zerstörerische Wirkung von Kriegen, Revolutionen, Aufständen und Unruhen nahezu immer Auswirkungen auf das Schicksal von Kunstsammlungen, Bibliotheken und Archiven. Kontinuitäten von Besitz und Eigentum sowie von Ortsgebundenheit wurden abrupt aufgehoben. In den Biografien der Objekte blieben die Fragen nach der Herkunft immer dann weitgehend unbeantwortet oder offen, wenn sie Brüche aufwiesen, sie aus den mündlichen und schriftlichen Überlieferungszusammenhängen herausgelöst worden waren. Insbesondere die Klärung der Frage, ob Museen auch Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Herrschaft Kunst- und Kulturgut, das zwischen 1933 und 1945 unrechtmäßig entzogen wurde, besitzen oder in der Vergangenheit erworben haben, ist zu einer ebenso zentralen wie unverzichtbaren Aufgabe sowie zu einer moralischen Verpflichtung geworden. Der Umstand, dass Angaben zum Zeitpunkt und zu den Umständen des Erwerbs von Museumsobjekten und anderen Kulturgütern nicht oder nur unzureichend vorlagen, begründete eine Ausprägung und Entwicklung der Provenienzforschung, wie es sie zuvor in den historischen Wissenschaften und in der Geschichte des Sammelns nicht gab. Der Vortrag gibt einen historischen Überblick zur Handhabung der Provenienz und über die Entwicklung der Provenienzforschung. An Fallbeispielen soll deutlich gemacht werden, wie komplex sich ihre Gegenstandsbereiche darstellen. |