Diaspora Exil Migration
Forschungskolloquium: Diaspora, Exil, Migration – Methodische und theoretische Neuansätze
Das deutschsprachige Exil, dessen Erforschung mittlerweile auf eine langjährige Geschichte zurückblicken kann, gerät in den letzten Jahren vor allem aus einer interdisziplinären Perspektive (kultur-)wissenschaftlicher Theorien über Erinnerungskulturen, kulturelle Identitäten sowie Migrations- und Transferbeziehungen in regionalen, nationalen und transnationalen Räumen (Migrationsbewegungen eingeschlossen) erneut ins Blickfeld wissenschaftlichen Interesses. Aktuelle wissenschaftliche Beiträge formulieren neue Fragen an die Quellen, – im Kontext interkultureller oder interreligiöser Dialoge, der Darstellungen zu jüdischer Kultur und Geschichte, zur Genderforschung, oder zur Kultur, Geschichte, Kunst und Literatur der Nachkriegszeit. Das Kolloquium thematisiert diese unterschiedlichen Ansätze vor dem Hintergrund entstehender MA-Arbeiten und Dissertationen und diskutiert neuere Forschungsliteratur. Es präsentiert Vorträge und Diskussionen mit internationalen Gastwissenschaftlern.
Die Referentinnen und Referenten stellen dazu ggf. Textmaterial zur Verfügung, das der Einstimmung und Vorbereitung dient. Es kann im Moodleverzeichnis unter dieser Veranstaltung eingesehen werden. Möchten Sie sich für das Kolloquium anmelden, so erfragen Sie das Moodle-Kennwort bitte bei Josephine Kujau (kujau@europa-uni.de).![]() Prof. Dr. Birgit Dahlke |
Zu Recht werden der 1934 geborene Uwe Johnson und der 1941 geborene Wolfgang Hilbig dem Kanon der DDR-Literatur zugeordnet, obwohl beide erst durch die Publikation ihrer Texte in der Bundesrepublik zu Autoren werden konnten. Für beide ist der Massenmord an Jüdinnen und Juden Voraussetzung ihrer Autorschaft. Beide schreiben gegen die Überdeterminierung ihrer Rolle an, Johnson gegen die des „Schriftstellers des gespaltenen Deutschlands“ und Hilbig gegen die des „Arbeiter-Dichters“. Welche Poetologien bringt eine solche Abwehr hervor? Ist ihre Literatur per se politischer als die westdeutscher Generationsgenossen? |
03.Dezember 201316:15–17:45 UhrStephan-Saal,Postgebäude,EUV |
Prof. Dr. Axel Schildt (Hamburg):„Die Intellektuellen, Europa und der Westen in der frühen Bundesrepublik“Vortrag und Diskussion |
![]() Prof. Dr. Axel Schildt |
Nach dem schmählichen Ende des „Dritten Reiches“ und damit des „Deutschen Reiches“ rückten Europa und der Westen an die Stelle nationalstaatlicher Orientierung. Damit verbunden war eine Vielzahl unterschiedlicher und zum Teil unvereinbarer Positionen. Sie reichten von Vorstellungen einer „Dritten Kraft“ zwischen den Weltblöcken bis zur Konstruktion eines „christlichen Abendlandes“ als kultureller Einheit bei gleichzeitiger Distanz nicht nur vom „kollektivistischen Bolschewismus“ im Osten, sondern auch vom seelenlosen amerikanischen Materialismus. Die Trennung von realpolitischer Option für den Westen bei gleichzeitiger kultureller Distanz zu den USA verschwand dann im Diskurs vom „freien Westen“, der selbst auch nicht historisch voraussetzungslos war. Im Vortrag sollen diese Zusammenhänge skizziert und auf bestimmte Akteure und Medien bezogen werden. |
![]() Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum |
In meinem Vortrag wird es zum einen um die Frage gehen, welche Folgen der für das 19. Jahrhundert so zentrale Prozess der Verbürgerlichung der deutschen Juden auf das Geschlechterverhältnis besaß, oder anders ausgedrückt: inwiefern Einbindung, Erfahrung und Verarbeitung dieses Prozesses unterschiedlich für jüdische Männer und Frauen waren. Zum anderen stehen, für das 20. Jahrhundert, die Auswirkung von Verfolgung, Vertreibung und Massenmord auf die Geschlechterbilder und –rollen im Zentrum, wobei diese für die Nachkriegszeit nur grob skizziert werden können, da substantielle Forschungen fast völlig fehlen. Gleichwohl lässt sich zeigen, dass der konsequent geschlechtergeschichtliche Blick uns zwingt, einige liebgewonnene Gewissheiten, Periodisierungen und Interpretationen zu überprüfen, was auch für die deutsch-jüdische Geschichte eine Reihe von neuen Perspektiven eröffnen kann. |
14. Januar 201416:15–17:45 UhrStephan-Saal,Postgebäude,EUV |
Prof. Dr. Sven Hanuschek (München):"The Art Gossip.
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![]() Prof. Dr. Sven Hanuschek |
Veza und Elias Canetti sind 1938 aus Wien nach England geflohen, Canetti hat seine Londoner Wohnung bis in die 1980er Jahre behalten. Obwohl er ein mittelloser Emigrant war und zum britischen literarischen Leben anscheinend nichts beitrug - er arbeitete an "Masse und Macht", schrieb seine Werke in deutscher Sprache und publizierte bis in die ersten Nachkriegsjahre nichts - gelang ihm ein schneller Aufstieg in die höchsten Kreise der streng hierarchisierten Gesellschaft, zudem ein hoher Bekanntheitsgrad unter den Künstler- und Bohème-Kreisen der Insel. Der Vortrag soll nach Gründen für diese erstaunliche Entwicklung suchen und dabei auch Canettis britische Jahre vorstellen. |
20. Januar 201416:15–17:45 UhrStephan-Saal,Postgebäude,EUV |
Prof. Dr. Daniel Hoffmann (Düsseldorf):"Jüdische Liturgie im KZ"Vortrag und Diskussion |
![]() Prof. Dr. Daniel Hoffmann |
Auch in Zeiten härtester Verfolgung haben Juden an Ihrem Gottesdienst und an den traditionellen Gebeten unverändert festgehalten, wiewohl es zahlreiche Ergänzungen gegeben hat, in denen das Schicksal reflektiert worden ist. Das gilt ebenso für das Beten im KZ. Es gibt zahlreiche Zeugnisse für Gottesdienste, die unter Todesgefahr im KZ stattfanden. Sie wurden auch von jüdischen Häftlingen scharf kritisiert, weil sie Gebete enthielten, die in eklatantem Widerspruch zur augenblicklichen Situation standen. Wie die Betenden diesen Widerspruch ausgehalten haben, wird Thema meines Vortrages sein. Die Konfrontation von Lobpreis und Vernichtung bildet ein bis heute verstörendes Bild von der Religion im KZ.
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04. Februar 201416:15–17:45 UhrStephan-Saal,Postgebäude,EUV |
Prof. Dr. Andreas Kilcher (Zürich):"Poetik und Politik des Witzes bei Heinrich Heine"Vortrag und Diskussion |
![]() Prof. Dr. Andreas Kilcher |
Heinrich Heine setzt den Witz nicht einfach als ein humorvolles und komisches Spiel ein. Vielmehr verfeinert und verschärft er den Witz zu einem ebenso komplexen wie kunstvollen Schreibverfahren im historisch-politischen Spannungsfeld von Revolution und Restauration. Heines Witz ist in eben dieser Verschränkung von Poetologie (Verfahren) und Politik (Tendenz) zu verstehen. Damit weisen sein witzigen Schreibweisen auch eine elementare deutsch-jüdische Signatur auf: Sie werden als spezifische Schreibform einer unsicheren und ambivalenten jüdischen Moderne im Zeitalter von Emanzipation, Assimilation und Konversion verständlich.
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