Diskussionforum
Interkulturelle Literatur, Gastarbeiterliteratur, Migrantenliteratur – bereits diese unbefriedigenden Versuche, eine treffende Bezeichnung zu finden, spiegeln die Vielschichtigkeit eines literarischen Phänomens, das heute zum festen Bestandteil einer grenzüberschreitenden europäischen Literatur geworden ist. Solche Vielschichtigkeiten auszuloten, ohne althergebrachte Grenzen einer nationalistischen Kanonisierung neu zu errichten, ist eines der Ziele des offenen Diskussionsforums Bewegtes Europa, das die Axel Springer-Stiftungsprofessur für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte, Exil und Migration seit dem WS 2012/13 an der Europa-Universität Viadrina veranstaltet. Dabei geht es auch darum, die Perspektiven unterschiedlicher Fachtraditionen zusammenzuführen und in produktiver Weise miteinander ins Gespräch zu bringen. Das Offene Forum Migration und Literatur bietet daher Interessierten aller Fachrichtungen die Möglichkeit, aktuelle Forschungsaspekte kennenzulernen und in einen Austausch mit internationalen Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Migrationsforschung zu treten.
Archiv vergangener Veranstaltungen:
28. Januar 201918:00 UhrGräfin-Dönhoff-Gebäude, Hörsaal 1, Europa-Universität Viadrina |
FILMVORFÜHRUNG„Transit”(D 2018, 101 Min.) |
10. Juli 201811:15–12:45 UhrEuropa-Universität Viadrina, Gräfin-Dönhoff-Gebäude, Hörsaal 05 |
Prof. Dr. Jin-Ah Kim (Hankuk University Seoul/HU Berlin)„Grenzüberschreitungen. Kulturelles Handeln von Migrant*innen aus praxeologischer Perspektive “Vortrag und Diskussion |
10. Juli 201316:00–18:00 UhrStephanssaal |
Prof. Dr. Joanna Jabłkowska (Univ.Łódź)„Fremdkörper? Versöhnung? Polnische Migrantenliteratur in Deutschland.“Vortrag und Diskussion |
![]() Prof. Dr. Joanna Jabłkowksa |
Der polnische Literaturwissenschaftler Jan Błoński fragte einst, ob es eine oder zwei polnische Literaturen gebe, die Literatur, die in Polen entsteht und die Exilliteratur, und leitete damit eine wichtige Debatte ein. In der Tat, wichtige Werke der polnischen Nationalliteratur entstanden im Exil: im 19. Jahrhundert Werke von Adam Mickiewicz, Juliusz Slowacki, Zygmunt Krasiński, Cyprian Kamil Norwid, im 20. Jahrhundert von Czesław Miłosz, Witold Gombrowicz, Gustaw Herling-Grudziński und vielen anderen. Die letzte Phase der politischen Emigration begann Anfang der 80er Jahre, nach der Verhängung des Kriegszustands in Polen. Nach 1989 begannen Reintegrationsprozesse, viele Dichter kehrten nach Polen zurück; viele versuchten als Mittler zwischen der polnischen und anderen Kulturen zu wirken, doch bis heute ist das Exil aus der Landschaft der polnischen Kultur nicht zu tilgen. Die polnische Migrantenliteratur in der Bundesrepublik schreibt sich in diese Tradition ein. Allerdings hat sie ihren eigenen Charakter entwickelt. Am Beispiel der Werke von einigen Autoren, die in der Bundesrepublik oder in den beiden Ländern leben, polnisch oder deutsch oder in den beiden Sprachen schreiben, wird das Phänomen der polnischen Migrantenliteratur gezeigt. |
![]() Prof. Dr. Walter Schmitz |
Migration nach 1945, vor allem die Arbeitsmigration seit Mitte der 1960er Jahre, hat nicht nur die Gesellschaften in den deutschsprachigen Ländern verändert; sie hat Deutschland auch zu einem Einwanderungsland gemacht. Aus der Erfahrung „Migration“ entstehen neue, grenzüberschreitende Lebensläufe, neue Lebenserzählungen und eine Literatur, die auf diese Erfahrungen in vielfältiger Weise reagiert. Die literarische Landschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat sich seither grundlegend verändert. |
Dr. Cornelia Zierau |
Das Schreiben in einer Zweitsprache enthält auf linguistischer und semantischer Ebene Spuren von Mehrsprachigkeit und Interlingualität, die ein umfassendes Sprach- und Kulturwissen implizieren. Diese werden ästhetisch eingebunden und verdichten sich somit zu literarisch, kulturell und sprachlich vielstimmigen Texten. Gerade Autorinnen und Autoren, die in der Zweitsprache schreiben, verknüpfen häufig in interessanter Weise ein ästhetisches Programm der Polyphonie und Mehrdeutigkeit mit Mehrsprachigkeit und kultureller Vielfalt, so dass – im Sinne Homi Bhabhas – Spuren kulturellen Wissens gelegt und innovativ zu neuen hybriden kulturellen Räumen arrangiert werden. Im Vortrag soll ausgehend von Überlegungen darüber, was die Begriffe "Mehrsprachigkeit" und "Sprachreflexivität" implizieren, diesen Aspekten in interkulturellen literarischen Werken genauer nachgegangen werden: Welche Möglichkeiten der Inszenierung von Mehrsprachigkeit und kultureller Vielfalt gibt es? Welche Effekte werden dabei erzeugt? Welches kulturelle und sprachliche Wissen kommt dabei zum Vorschein? |
8. Januar 201316:15–18:00 UhrAM 02 |
Dr. Wiebke Sievers (Österr. Akadmie der Wissenschaften, Wien):"Lässt sich das überhaupt vergleichen? Migration und Literatur in Europa, den USA, Kanada und Australien"Vortrag und Diskussion |
![]() Dr. Wiebke Sievers |
Migrationsliteratur wird in der Literaturanalyse gern als transnationales Phänomen gelesen, das Nationen und Kulturen per se in Frage stellt. Der vergleichende soziologische Ansatz dieses Vortrags versucht dagegen zu zeigen, wie stark die Entstehungsgeschichten und Interpretationen dieser Literaturen in ihren jeweiligen nationalen Kontexten verankert sind. Grundlage des Vortrags ist ein in Entstehung befindliches Handbuch zu Migration und Literatur, das sich diesem Phänomen in 13 verschiedenen Ländern widmet. |
13. Dezember 201216:15–18:00 UhrStephanssaal |
Prof. Dr. Gerhard Bauer (FU Berlin):"Postkolonialismus auf Deutsch? politisch? kulturell. literarisch!"Vortrag und Diskussion |
![]() Prof. Dr. Gerhard Bauer |
In der angloamerikanischen Bewältigung des kolonialen Erbes und der französischen Auseinandersetzung mit den im eigenen Land nachlebenden Zeugen des großen Abenteuers „Algerien“ hat das theoretische Konzept eines „Postkolonialismus“ einen hohen Rang. Es setzt auch die Migration, die human folgenreichste Seite der Globalisierung, einer verschärft kritischen politischen, politökonomischen und sozialen Reflexion aus. Aber in Deutschland? Seine koloniale Vergangenheit zählt kaum gegenüber der der „großen“ Kolonialmächte – oder ist sie nur vergessen? Seine Migranten rücken nicht in die Rolle seiner einstigen „Feinde“ und Kulis ein – oder doch? in wie fern? Was wird aus den schön klingenden kulturellen, sozialen, individuellen Gewinnen der Migration, wenn man die hierorts vergessene, also unbewusst nachlebende kolonialistische Mentalität berücksichtigt, wenn man sie bis ins neuerdings unentbehrliche „head hunting“ verfolgt? Aber die Literatur, die sich ihre Autonomie, ihre Souveränität, auch ihre Lockerheit und ihre vielen, z. T. tiefernsten, Späße nicht nehmen lässt! Hat sie mit jenem düsteren Erbe überhaupt zu tun? Kehrseitig, reziprok, „writing back“ oder noch anders? |