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Publikationen

Hartmut Schröder: 'Ich sage das einmal ganz ungeschützt' - Hedging und wissenschaftlicher Diskurs. In: Danneberg, Lutz/Niederhauser, Jörg (Hsg.): Darstellungsformen der Wissenschaften im Kontrast. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1997 (=Forum für Fachsprachen-Forschung 39).

 

1. Einleitung

"Der Mensch scheint unter dem Zwang zu stehen, gerade davon mehr reden zu müssen, wovon er - zunächst jedenfalls - nicht klar reden kann." (Erben 1994: 6)

Ich beschäftige mich im folgenden mit einem textuellen Phänomen, das unter der anglo-amerikanischen Bezeichnung 'Hedging' bzw. 'Hedge' zu einem mittlerweile recht populären Forschungsgegenstand geworden ist (s. Schröder/Zimmer 1996). Begriff und Bezeichnung stammen zunächst aus der Logik und Semantik, von wo aus sie Eingang in die Pragmatik und Diskursanalyse gefunden haben. Im Deutschen fehlt noch immer ein äquivalent, wenn man von den vorgeschlagenen Bezeichnungen 'Hecke' bzw. 'Heckenbildung' einmal absieht. Obwohl der Begriff noch immer bei verschiedenen Forschern recht unterschiedlich verstanden wird und die Operationalisierung in Textanalysen nicht zufriedenstellend gelöst ist, möchte ich das Phänomen 'Hedging' für die Analyse wissenschaftlicher Diskurse nutzen, da es sich um einen bislang vernachlässigten Aspekt der Wissenschaftskommunikation handelt.

Darian (1995: 101) kommt in seiner Untersuchung über sprachliche Aspekte von Hypothesen in wissenschaftlichen Texten zu dem Schluß, daß Hedges der deutlichste textuelle Indikator für Hypothesen sind. Als Beispiel führt Darian eine Passage aus einem geologischen Fachtext an:

(Although the steps in the creation of oil are still very poorly known,) the following (1) simplified theory is (2) rather (3) widely held and is supported by enough facts to be (4) at least (5) some-what (6) near the truth.

Die kursiv hervorgehobenen Stellen in diesem Textbeispiel stehen im Gegensatz zu einigen wichtigen Grundannahmen der Fachsprachenforschung, wonach Fachsprache nämlich als exakt, präzis, ökonomisch und eindeutig angesehen wird sowie Klarheit des Ausdrucks und Vermeidung von Redundanz für den Fachtext als kennzeichnend angenommen werden. Daß Hedges überhaupt im wissenschaftlichen Diskurs - einem Bereich vordergründig rationaler und beziehungsfreier Sachkommunikation - Verwendung finden, scheint damit zusammenzuhängen, daß Wissenschaftskommunikation - in einem weitaus stärkeren Maße als bisher in der Fachsprachenforschung angenommen - ähnlichen Mechanismen wie die Alltagskommunikation gehorcht, dies aber durch den besonderen Fachkode mehr oder weniger erfolgreich verschleiert.

In der Fachsprachenforschung hat Opitz (1981) auf die Existenz von Hedges in Fachtexten hingewiesen, die er als abschwächende und relativierende Formulierungen versteht, mit denen sich der Verfasser vor möglicher Kritik und/oder Fehlinterpretation schützen will. In der Wissenschaftsphilosophie hat sich u.a. Lachowicz (1981: 105) mit dem Gebrauch des Passiv im wissenschaftlichen Diskurs beschäftigt, das seiner Meinung nach die folgenden Funktionen erf�llt: "1) to reflect objectivity (...) 2) to assume responsibility toward research conducted (...) 3) to reduce the author's commitment in the truth value of statements", wobei nur die letzte Funktion von Lachowicz als Hedging verstanden wird. Schließlich hat von Hahn (1983: 99) in seiner Einführung in die Fachkommunikation klargestellt, "daß die undifferenzierte Rede von der generellen Exaktheit der Fachsprachen unrichtig ist" und dies am Beispiel der verschiedenen Arten der Vagheit in der Fachkommunikation belegt. In einem Modell zeigte von Hahn des weiteren, daß neben dem propositionalen Gehalt von Sätzen in Fachtexten auch metatextuelle Stellen und die Kategorie Modalität eine wichtige Rolle spielen.

Aus Sicht der Stilistik hat jüngst Erben (1994) auf die Relevanz sprachlicher Signale zur Markierung der Unsicherheit oder Unschärfe von Aussagen im Neuhochdeutschen hingewiesen. Für den wissenschaftlichen Diskurs stellt Erben fest: "Auch Experten können nicht immer sicher, also nicht frei von Zweifeln sein, ob sie den anstehenden Fall vollständig und angemessen erfaßt haben, ob ihre Grundannahmen und Ergebnisse stimmen (...) Letztverbindliche Lehrentscheidungen, unfehlbare Aussagen gibt es nur dort, wo das Dogma der Unfehlbarkeit gilt und Glaubenszustimmung verlangt werden kann. Außerhalb dogamtisch beherrschter Gemeinschaften aber (...) zeigt sich in der Neuzeit ein mehr oder minder entwickeltes Bewußtsein der Irrtumsfähigkeit und Fehlbarkeit, des Nichtsicher- oder Nichtgenauwissens, somit der Unsicherheit oder zumindest der Unschärfe unserer Aussagen. Und eben dafür werden zunehmend besondere sprachliche Signale üblich (...)." (Erben 1994: 6-7)

Erben spricht von Signalen für "Sprechereinstellungen zum dargestellten Sachverhalt" (Erben 1994: 7) und untersucht dieses Phänomen am Beipiel der Theaterkritiken von Theodor Fontane, wobei er auch Fontanes "metasprachliche Bemerkungen über das eigene Formulierungsrepertoire" zitiert, zu dem u.a. 'einschränkende Zusatzprädikationen', 'Abstufungen des Gewißheitsparameters', 'modale Wörter' und 'Partikeln' gehören.

Als Ergebnis seiner Untersuchungen hält Erben fest: "Die bei Fontane beobachtete große Fülle von Abstufungs- und Variationsmöglichkeiten entspricht einem hochentwickelten Stand der deutschen Schriftsprache (...)", der erst in der Neuzeit erreicht worden sei (Erben 1994: 16). Daran knüpft Erben die These, "daß in der Neuzeit ein mehr oder minder entwickeltes Bewußtsein des Nichtsicher- oder Nichtgenauwissens zu spüren sei und fßr Einschränkungen oder Abschwächungen des Wahrheitswertes eigener Aussagen zunehmend besondere sprachliche Signale üblich werden." (Erben 1994: 16)

Solche sprachlichen Signale bzw. Hedges werde ich im folgenden zu den Stilmitteln zählen, wobei ich 'Stil' sehr weit in Anlehnung an Graubners (1978) Formulierung als "die Fortsetzung des Inhalts mit anderen Mitteln" verstehe. Ich gehe davon aus, daß Wissenschaft nicht nur Inhalt ist, d.h. Wissenschaftstexte nicht nur objekt- und sachverhaltsbezogene 'Informationen' auf der propositionalen Ebene vermitteln, sondern darüber hinaus immer auch Wirkung erzielen sowie ein Publikum ansprechen und überzeugen wollen, so daß "die landläufige Dichotomie von Form und Inhalt schon vom theoretischen Ansatz her zu vermeiden" wäre. Die (stilistische) Gestaltung eines wissenschaftlichen Fachtexts erschöpft sich nicht in der Komponente des Pragma. Neben dem "Eingehen auf die Sache" (Pragma) soll durch eine adäquate Vertextung die "Verläßlichkeit" des Senders (Ethos) unterstrichen und der Empfänger emotional disponiert werden (Pathos). Die beiden zuletzt genannten Aspekte Ethos und Pathos sind dabei außer an die Stoffauswahl (inventio) und die Anordnung des Stoffs (dispositio) in besonderer Weise an verbale Vertextungsmittel (elocutio) und hier gerade auch an das Phänomen Hedging gebunden.