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Publikationen

Hartmut Schröder: 'Ich sage das einmal ganz ungeschützt' - Hedging und wissenschaftlicher Diskurs. In: Danneberg, Lutz/Niederhauser, Jörg (Hsg.): Darstellungsformen der Wissenschaften im Kontrast. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1997 (=Forum für Fachsprachen-Forschung 39).

 

4. Hedging und interkulturelle Fachkommunikation

 

Aus Raumgründen ist es hier nicht möglich, einzelne Textanalysen vorzustellen und zu besprechen. Vielmehr möchte ich hier nur exemplarisch für drei Sprachen zeigen, daß Hedging durch linguistische Mittel realisiert wird, die zu einem Teil universal zu sein scheinen, zu einem anderen Teil aber doch einzelsprachliche Spezifika andeuten. Als Grundlage der Untersuchungen dienten philosophische und sozialwissenschaftliche Texte von Jürgen Habermas, Donald Davidson und Matti Sintonen (s. Markkanen/Schröder 1992).

Die wichtigsten untersuchten Sprachmittel sind die folgenden:

- der Gebrauch und die Vermeidung bestimmter Personalpronomen sowie die Bevorzugung unpersönlicher Ausdrücke
- der Gebrauch des Passivs und anderer agensabgewandter Formen
- der Gebrauch von Modalwörtern (Modalverben, -adverben und -partikeln)
- der Gebrauch bestimmter rhetorisch-stilistischer Mittel

Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, daß es sowohl Übereinstimmungen als auch Unterschiede zwischen den drei ausgewählten Sprachen gibt.

 

Deutsch: Jürgen Habermas

Bei dem Text von Habermas fällt auf, daß er sich erwartungsgemäß durch "Doppel-Hedging" und sogar "Mehrfach-Hedging" auszeichnet, wie es in einer früheren Untersuchung von Michael Clyne bereits als typisch für den deutschen wissenschaftlichen Diskurs herausgestellt wurde (s. Clyne 1991).

Neben Adverbien, Verben und Partikeln (wie beispielsweise, bekanntlich, bloß, möglich, recht, vielleicht, wenigstens, ähnlich, scheinen/erscheinen, sich bemühen, denken, glauben, in gewisser Hinsicht) fällt bei Habermas die hohe Frequenz der 1. Person Singular auf, die 3,6 % beträgt, obwohl z.B. Benes (1981) als Durchschnitt für wissenschaftliche Fachsprachen nur 0,2 % angibt. Einerseits könnte freilich die Funktion der 1. Person Singular gerade auf das Gegenteil von Hedging hindeuten, da ja die Verantwortung eindeutig übernommen wird; andererseits kann aber auch angenommen werden, daß das Vorkommen der 1. Person Singular im Zusammenhang mit Verben des Denkens und Meinens im wissenschaftlichen Diskurs eher die nur persönliche Meinung des Autors anzeigt, d.h. zumindest eine gewisse Abschwächung vorgenommen wird. Hierzu folgende Beispiele:

- Ich beobachte/denke/meine ...
- Wenn ich recht sehe ...
- Im folgenden will ich nur eine Geschichte erzählen ...
- Ich weiche noch einmal in die narrative Darstellung aus

Neben diesen personenbezogenen Äußerungen kann im Habermas-Text aber auch unpersönliche Ausdrucksweise belegt werden, wie folgende Beispiele zeigen:

- Man könnte/kann ...
- Natürlich kann man bestenfalls suggestive Vermutungen anstellen ...
- Es scheint .../so scheint es ...
- ... läßt sich sehr grob kennzeichnen
- ... wenigstens läßt sich das Problem bezeichnen
- ... daraus erklärt sich auch

Interessant ist, daß im Habermas-Text auch nichtbelebte Objekte zum Subjekt des Satzes gemacht werden, wodurch die Verantwortung für die Proposition zumindest verdunkelt wird. Auch hierzu einige Beispiele:

- Wenn diese Perspektive nicht täuschen sollte ...
- Die Zyklen der Wissenschaftsgeschichte sprechen eher dafür ...
- Dieser Vergleich legt die Frage nahe ...

 

Englisch: Donald Davidson

Im Text von Davidson konnte die 1. Person Singular nicht in der gleichen Freqeunz wie bei Habermas belegt werden, wohl aber eine sehr hohe Freqeunz für die 1. Person Plural mit 17,2 % festgestellt werden, die ebenfalls eine Hedging-Funktion erfüllen kann.

Typisch für den Text von Davidson scheint der Gebrauch des Passivs (10,4 %) zu sein, wozu ich hier einige Beispiele anführen möchte:

- It is sometimes thought that translatability into ...
- ... it may be said ...
- ... could count as ...

Neben dem Passiv verwendet Davidson insbesondere Modalverben (wie may/might, can/could/cannot, would, must) mit ihrer epistemischen Funktion und Modaladverben (wie certainly, surely, necessarily, probably, perhaps). Interessant bei Davidson ist die Verwendung eines rhetorisch-stilistischen Elements aus dem Bereich des mündlichen Diskurses, wie folgende Beispiele zeigen:

- We must conclude, I think, that the attempt to give ...
- What we need, it seems to me, is some idea ...

Für den mündlichen Diskurs deuten diese Parenthesen innerhalb eines Satzes an, daß der Sprecher während seines Redebeitrages aufgrund vermeintlicher Skepsis bzw. der Gefahr des Gesichtsverlust bei dem Hörer seine geplante Äußerung abschwächt, so daß sie für den Rezipienten wieder akzeptabel wird.

 

Finnisch: Matti Sintonen

In dem finnischen Text von Sintonen fällt auf, daß die 1. Person Singular äußerst sparsam verwendet wird, und in den meisten Fällen das Pronomen ganz wegfällt, was im Finnischen grammatisch möglich ist, da die konjugierte Verbform durchaus ausreicht. Die Verwendung des Personalpronomens in der 1. Person scheint im Finnischen nicht nur im mündlichen Diskurs sondern gerade auch im schriftlichen Fachtext zu emphatisch, da die Person des Autors zu stark akzentuiert würde. Dies mögen folgende Beispiele zeigen:

- Väitän, että ensinnäkään semantikolla ...
- Tässä tarkastelussa pyrin osoittamaan ...

Von wichtiger Bedeutung für die Realisierung von Hedging-Strategien scheint im Finnischen auch der Konjunktiv zu sein.

- Voisimme ajatella, että ...
- Tällainen intuitionistinen korvike olisi esimerkiksi

Eine Besonderheit des Finnischen ist schließlich die Verwendung von partikelartigen Suffixen, die an verschiedene Wortarten angehängt werden können. Zeigt die Endung -kin meistens eine Verstärkung im Sinne von 'auch' an, so kann die Endung -kaan/-kään im Zusammenhang mit anderen Hedges eine gewisse Abschwächung bedeuten, wie folgendes Beispiel zeigt: Miksi niillä olisi jompi kumpi totuusarvoista 'tosi' tai 'epätosi'. Ehkä niillä ei olekaan.