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Ukraine: Kulturgutschutz bei bewaffneten Konflikten

Ein Krieg ist die schlimmste Notstandssituation. Infolge der entfesselten Gewalt werden viele Menschen, darunter auch die wehrlosesten Gruppen der Zivilbevölkerung getötet und verletzt. Während der russischen Aggression in der Ukraine, die durchaus als "War on Identity" zu definieren ist, werden auch die Kulturgüter nicht ausgespart. Aufgrund der unmittelbaren Kontakte in der Ukraine verfolgen wir an die Professur für Denkmalkunde die Kriegsberichterstattung mit dem speziellen Blick auf die Schicksale der Fachkollegen und auf den Zustand des Kulturerbes.

In einem von uns, am 06.04.22 durchgeführten Online-Webinar "Kulturgutschutz bei bewaffneten Konflikten", informierten Expert*innen und zugleich Absolvent*innen des Masterstudiums "Schutz Europäischer Kulturgüter" über die aktuelle Lage in der Ukraine am Beispiel der UNESCO-Weltkulturerbestätte Altstadt Lwiw, über rechtliche Grundlagen, historische Erfahrungen und Entwicklungen sowie Schicksale von Kulturgütern in anderen bewaffneten Konflikten des 21. Jahrhunderts in der Welt.

Lwiw-panorama_WikiCommons_StanislawKosiedowski ©Stanislaw Kosiedowski/WikiCommons

In den Kriegen der letzten Jahrzehnte geht es weniger um wirtschaftliche und politische Interessen, als um einen „War on Identity” („Krieg um die Identität”). Wie Hubertus Köbke im Webinar anschaulich aus seiner jahrzehntelangen Arbeitserfahrung berichtet, zeichnen sich diese Kriege durch besonders zügellose Gewalt gegen Menschengruppen und die Vernichtung von Kulturerbe aus. 

Diesen Schwerpunkt beschreibt auch Oleksandra Provozin ganz aktuell aus Lwiw in der Ukraine über Russlands Angriffskrieg gegen ihr Land seit dem 24. Februar 2022. Die Brutalität der russischen Truppen könne nur eines bedeuten: „Sie wollen uns, die Ukraine, als Nation und unsere Kultur zerstören.” Aber das werde so einfach nicht gelingen: „Denn unser Kulturerbe ist auch das, was in unseren Herzen ist.” 

Unterstützung und Spenden für die Kultur der Ukraine (ENG):

  • Global Heritage Fund:

Landesdenkmalamt Berlin informiert, wie der Kulturgutschutz in der Ukraine aktuell unterstützt werden kann:

Gemeinsam mit Blue Shield Deutschland, mit SiLK und mehreren Notfallverbünden, der DGKS e.V. und weiteren Partnern arbeitet ein Team der KulturGutRetter am Deutschen Archäologischen Institut daran, aus der Ukraine gemeldete Bedarfe an Verpackungsmaterial und weiteren Materialien zum Schutz des kulturellen Erbes des Landes zu sammeln und auf den Weg zu bringen.

Auf folgender Webseite werden eine regelmäßig aktualisierte Bedarfsliste (Bsp. Stand 11. April 2022) sowie Kontaktdaten zur Verfügung gestellt:

https://www.berlin.de/landesdenkmalamt/aktuelles/kurzmeldungen/2022/artikel.1182408.php

Die ukrainische Regierung hat schon zu Beginn des Krieges ihre Bevölkerung aufgerufen, Beschädigungen und Zerstörungen von kulturellem Erbe durch russische Truppen zu melden. Daraus entsteht eine öffentlich einsehbare Liste und sogar eine Web-Karte. Diese Meldungen sollen künftig für eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte gegen Russland wegen Kriegsverbrechen genutzt werden. Dass die zielgerichtete Zerstörung von Kulturerbe ein Kriegsverbrechen ist und welche Abkommen und Protokolle dies regeln, erläuterte anschaulich Dr. Stefan Mieth in seiner Präsentation.

Den thematischen Einstieg lieferte Dr. Tanja Bernsau mit einem ganz punktuellen historischen Einblick in die Entstehung eines Kulturgutschutzes innerhalb von militärischen Strukturen der USA im Laufe und nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

Mehr Informationen zum Kulturgutschutz in der Ukraine aktuell:

Expert:innen zu verschiedenen Aspekten des Kulturgutschutzes mit Blick auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine

Dr. Tanja Bernsau: Historische Aspekte des Schutzes von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten am Beispiel des Zweiten Weltkriegs 

Dr. Tanja Bernsau lebt und arbeitet in Wiesbaden. Die promovierte Kunsthistorikerin forschte bereits in ihrer Doktorarbeit über den Central Collecting Point Wiesbaden, der nach Kriegsende im heutigen (Landes-)Museum Wiesbaden untergebracht war. Auch den Einfluss der sogenannten "Monuments Men", einer anglo-amerikanischen Militäreinheit für Kunstschutz in Kriegszeiten, untersuchte sie hinsichtlich der deutschen kulturellen Nachkriegsgeschichte. Für ihr Weiterbildungsstudium „Schutz Europäischer Kulturgüter“ an der Viadrina hat sie darüber hinaus zur Art Looting Investigation Unit (ALIU) geforscht.

Dr. Stefan Mieth: Rechtliche Grundlagen zum Schutz von Kulturgütern in bewaffneten Konflikten

Dr. Stefan Mieth studierte von 1992 bis 1997 Rechtswissenschaften an der Universität in Potsdam. Nach dem Referendariat studierte er im Masterstudiengang „Schutz europäischer Kulturgüter“ an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Er war Stipendiat des Programms „Europa-Fellows am Collegium Polonicum“ und promovierte 2004. Anschließend war er als Rechtsanwalt tätig und ist seit 2007 Referent im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und dort zuständig für Themen der Bau- und Bodendenkmalpflege, des UNESCO-Welterbes und des Kulturgutschutzes. Seit 2005 ist er Lehrbeauftragter an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Oleksandra Provozin: Sicherung von Kulturgütern in Lwiw und der Ukraine

Oleksandra Provozin studierte in ihrer Heimatstadt Lwiw (Lemberg) Architektur und Klavier. Als Erasmus-Stipendiatin absolvierte sie ein Austauschjahr an der Humboldt Universität Berlin im Fach Kunstgeschichte. Es folgte das Masterstudium Schutz Europäischer Kulturgüter an der Europa-Universität Viadrina, wo sie 2016 erfolgreich ihre Masterarbeit verteidigte. Seit 2017 arbeitet Oleksandra Provozin im Stadtmuseum der Lwiwer Stadverwaltung und ist für Restaurierungsarbeiten der Museumsräume verantwortlich. Gleichzeitig koordiniert sie unterschiedliche Museumsprojekte und ist auch in der Vorbereitung der ersten Ausstellung des Museums beteiligt.

Hubertus Köbke: Kulturgut-Schicksal in den Konflikten des 21. Jahrhunderts

Hubertus Köbke, geboren 1962, arbeitete für Organisationen wie die deutsche Bundeswehr, NATO, Vereinte Nationen und den Deutschen Caritas Verband seit 1997 in der Humanitäre Hilfe im Ausland, u.a. in Bosnien und im Kosovo, in Afghanistan und im Irak, im südlichen Afrika, in Pakistan, Syrien, Ruanda und seit 2020 wieder in Pakistan. Ab 2016 studierte er an der Viadrina Frankfurt (Oder) bei Prof. Dr. Zalewski im MA „Schutz Europäischer Kulturgüter“ und schloss es mit einer Arbeit über die „Stadtplanung Islamabads von C.A. Doxiadis“ ab. Gegenwärtig arbeitet er an einer Dissertation über die „Nationenbildung Pakistans durch Präsident Ayub Khan 1958 bis 1969“. Hubertus Köbke hat in seiner Arbeit viele Beispiele für die Zerstörung aber auch Bewahrung von Kulturgütern erlebt. 

Medienberichte: