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Tabudiskurs

" Zu den wichtigsten Kommunikationsregeln,
die wir alle schon sehr früh im Leben lernen,
gehören auch solche über Nicht-Kommunizieren."

Hans Wagner

 

Wir haben in der Kommunikation meistens nicht nur die Wahl entweder zu reden oder zu schweigen (und auf die Thematisierung ganz zu verzichten), sondern wir können durch Verwendung bestimmter sprachlicher Mittel "heiße Eisen" durchaus anpacken, ohne uns daran "die Zunge zu verbrennen". Unsere Sprache stellt dafür eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung. Wir können andeuten, umschreiben, beschönigen etc. und uns auf diese Weise über tabuisierte Bereiche verständigen, ohne die Konventionen zu verletzen. Wir verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff Tabudiskurs.

 Tabudiskurse ermöglichen die Kommuniaktion über das, worüber man eigentlich nicht sprechen möchte bzw. sollte und umfassen verschiedene Bewältigungsformen, die uns in unserer eigenen Sprache und Kultur zwar verfügbar, aber nicht immer bewußt sind. Mit dem Begriff Tabudiskurs meinen wir, daß in bestimmten Situationen durchaus über tabuisierte Handlungen, Gegenstände, Institutionen und Personen kommuniziert werden kann, allerdings in einer ganz bestimmten Art und Weise, die nicht selber eine (verbale) Tabuverletzung mit sich bringt.

 Dabei sind Euphemismen nicht die einzige Möglichkeit über tabuisierte Gegenstände, Handlungen und Sachverhalte zu sprechen: "Abgesehen von der Möglichkeit, sich einem Gespräch über Tabus ganz zu entziehen (Abbruch eines Gesprächs, räumliche Distanz etc.), stehen den Sprechenden verschiedene Ebenen der Offenheit zu: vom expliziten 'darüber spricht man nicht' bis zur ausführlichen Diskussion. In diesem Fächer der Möglichkeiten müssen die Sprechenden Mechanismen bzw. Strategien entwickeln, die ihnen 'viertel-', 'halb-' oder 'dreivierteloffenes' Sprechen erlauben" (Günther 1992, 48-49).

 Was die sprachlichen Ersatzmittel für Tabudiskurse betrifft, so nennt Havers (1946) in seiner sprachhistorischen Arbeit für die indogermanischen Sprachen folgende Grundtypen: tabuistische Lautveränderungen , Entlehnungen , Antiphrasis (man sagt das Gegenteil von dem, was gemeint ist; Wunschnamen), stellvertretende Pronomen , euphemistische Kontaminationen (Wortkreuzungen), Sinnesstreckungen, satzhafte Umschreibungen (Wunschsatz und umschreibender Relativsatz), die Captatio benevolentiae, die Ellipse, den Subjekts-Instrumental sowie die Flucht in die Allgemeinheit (Generalisierung, Tabu-Plural ).

 Neuere Arbeiten zur linguistischen Tabuforschung gehen einerseits weitgehend von dieser Typologie von Havers aus (so z.B. Balle 1990) und greifen andererseits Fragestellungen und Methoden der Diskurs- und Gesprächsanalyse zum 'indirekten' bzw. 'verdeckten' Sprechens auf. Insbesondere Günther (1992) beschäftigt sich mit sprachlichen Mitteln, die "das 'Verschleiern' einer Aussage ermöglichen", wobei sie als bekannteste Strategie die Verwendung von Metaphern nennt. Weitere Strategien sind nach Günther (1992, 52ff. und 218ff.) die Verwendung von Euphemismen und Fachvokabular, die Agensbetonung und -aussparung, die Redewiedergabe und Rollenspezifikation, die Wortvermeidung und Vagheit, zusätzliche Angaben zur Einschränkung von Aussagen und die Verwendung von Proformen.

 

 Kenntnis und Einüben dieser Strategien in der Fremdsprache sind für den Fremden Voraussetzung für die Teilnahme an Tabudiskursen in der anderen Kultur.

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