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Henriette Jankow: "Als Frau Butler ablehnte..." - Zum Umgang mit Rassismus(-vorwürfen) in der LGBT-Community

Der Berliner CSD e.V. verleiht seit 2001 auf dem jährlichen Christopher-Street-Day den „Zivilcourage-Preis“. Im Jahr 2010 soll Judith Butler ihn für ihre (theoretische) Arbeit zu Gender und Sexualität erhalten. Sie lehnt ihn ab, mit der Begründung „einige der Veranstalter_innen haben sich explizit rassistisch geäußert bzw. sich nicht von diesen Äußerungen distanziert“. Als „Eklat“ und „billige Propaganda“ bezeichnet, war Butlers Preisablehnung wochenlang Gegenstand einer heftigen Debatte in Online-Foren und in der Bloggosphäre der ‚LGBT‘-Community. Auf der Grundlage von Artikeln und Diskussionen, die auf dem „News- und Entertainmentportal“ queer.de und auf der Homepage der tageszeitung (taz) erschienen, habe ich untersucht, wie die Rassismus-Vorwürfen verhandelt werden, welcher Sprachen und Argumentationslogiken sich bedient wird, um Aussagen zu legitimieren. Dabei stellt die Abwehr der Rassismus-Vorwürfe eine zentrale Umgangsweise dar, in der einerseits rassistisches Wissen reproduziert wird, um andererseits eine angegriffene (politische) Identität wieder herzustellen. 

Sowohl der „Eklat“ als auch die darauffolgende Debatte finden in einem soziohistorischen Kontext statt, in welchem sexuelle Politiken einen wesentlichen Bestandteil von Nationalisierungsprozessen bilden: „Sexuelle Rechte“ und „progressive Freiheiten“ werden zunehmend zu Merkmalen der Zugehörigkeit zur „westlichen Welt“, während z.B. Homophobie ein scheinbar ausschließlich ‚migrantisches‘ – genauer ein ‚muslimisches‘ – Problem bilden. Butlers Preisablehnung funktioniert somit vor allem als eine Intervention in einen Diskurs, der Mehrfachzugehörigkeiten nicht anerkennt („the ‚sexual other‘ is always white while the ‚racial other‘ is always heterosexual“ (Puar)) und sexuelle und religiöse Minderheiten in ein scheinbar unversöhnliches Spannungsverhältnis setzt.

 

Henriette Jankow studierte Kulturwissenschaften und Soziokulterelle Studien an der Europa-Universität Viadrina und Poznań. Bereits in ihrer Bachelor-Arbeit setzte sie sich diskurstheoretisch mit der Rolle von Sexualität in Nationalisierungsprozessen auseinander, damals am Beispiel von Polen. Hängen geblieben ist jedoch vor allem die Frage danach, welche Politiken einer vielfältigen Gesellschaft gerecht werden: Wie kann eine intersektionale Perspektive nachhaltig in Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitiken öffentlicher Einrichtungen verankert werden?

Interessensgebiete: (Queer-)Feminismus, Intersektionalität, Diversity- und Gleichstellungspolitiken, Antidiskriminierungs- und Menschenrechte, soziale Bewegungen, feministische Ökonomiekritik, (Spannungs-)verhältnisse von kritischer Theorie und politischer Praxis